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6. Inhalt, Form und Darstellung der Glossen

Vieles von dem, was man über die Vorlesung sagen kann, lässt sich nur über die Betrachtung der Glossen erschließen, besonders auch über den Vergleich der Glossen verschiedener Exemplare. Die Ergebnisse einiger dieser Beobachtungen sind bereits in die Schreiberprofile eingeflossen, wie etwa die orthographischen Eigenheiten oder andere Gewohnheiten der einzelnen Schreiber und ob es sich bei den Exemplaren wahrscheinlich um Mitschriften oder Abschriften handelt.

Tatsächlich aber kann man noch weitere Details beobachten. An vielen Stellen in den Nachschriften wird beispielsweise nicht nur deutlich, dass einem Annotator ein Fehler unterlief, sondern es ist oft auch erkennbar, warum ihm der Fehler unterlief und welche Auswirkungen er hatte, d. h. man kann die Gründe für bestimmte Entscheidungen der Schreiber und die Folgen dieser Entscheidungen erkennen.

Es ist nicht leicht, diese Phänomene zu kategorisieren, weil letztlich alle etwas Eigenes darstellen und an einem Ort diese, an einem anderen Ort jene Ursachen oder Auswirkungen haben. Die Einteilung hier geht vielmehr schon von der Deutung der Phänomene aus und dem, was die Schreiber in ihrer Eigenschaft als Rezipienten der Vorlesung geleistet haben. Die Fragestellung, die hierfür grundlegend war, ist: Was schreiben sie wie wohin und zu welchem Zweck?

Das Mitschreiben des in der Vorlesung gehörten Kommentars diente der Fixierung der darin enthaltenen Informationen, so dass diese später mühelos wieder abgerufen werden konnten. Dabei hielten sich die Annotatoren an gewisse Ordnungsprinzipien, die wir klar erkennen können, etwa dass bestimmte Glossen direkt bei den kommentierten Wörtern stehen, dass Verweise die Zuordnung von Glossen erleichtern, Linien die optische Trennung von Glossen markieren, etc. Es gab sicher keine festen Regeln für die Umsetzung dieser Prinzipien, aber allein die Anlage des Vorlesungsdruckes mit großem Zeilenabstand und breitem Rand beinhaltete bereits eine Art Vorgabe für die Sortierung und Darstellung der Informationen, und natürlich sind die Stellen, an denen ein Schreiber erkennbar von der Erwartung abgewichen ist, besonders interessant.

In diesem Kapitel soll, anders als in Abschnitt 4.3.1, nicht so sehr der Inhalt der Glossen im Vordergrund stehen, obwohl er uns weiter unten noch beschäftigen wird. Dort ging es um Aubanus’ Forschung und sein didaktisches Konzept, um eine thematische Einordnung der Glossen. Hier geht es um ihre Form und Darstellung, es soll also dokumentiert werden, was wir konkret in den einzelnen Nachschriften vorfinden, unabhängig davon, ob es Teil von Aubanus’ Kommentar war oder nicht.

6.1. Die räumliche Anordnung der Glossen

6.1.1. Marginalglossen zwischen den Zeilen – Interlinearglossen am Rand

Dass die Gestaltung der Vorlesungsdrucke bereits eine bestimmte Ordnung der Glossen vorgibt, wurde eben schon angesprochen. Zwei Faktoren bewirken diese Ordnung auf geradezu natürliche Weise: Erstens ist zwischen den Zeilen über einem kommentierten Wort weniger Platz als am Rand. Zweitens stellen Worterklärungen, Synonyme, Satzergänzungen und andere Verständnishilfen, also alles, was das Textverständnis fördert oder den sprachlichen Bereich betrifft, meistens recht kurze Anmerkungen dar. Diese Informationen finden sich daher in der Regel in Interlinearglossen, direkt bei ihren Bezugswörtern. Hintergrundinformationen zu Geschichte, Geographie, Religion, etc., die nicht so eng mit dem Text verbunden sind, sind dagegen tendenziell eher am Rand untergebracht.

Darum erstrecken sich die Übereinstimmungen der Nachschriften weitgehend auch auf die Platzierung der Glossen am Rand oder zwischen den Zeilen. Daraus leitet sich natürlich jeweils eine gewisse Erwartung ab, wo man welche Informationen in einer Nachschrift findet.

Natürlich gibt es Fälle, in denen diese Erwartung nicht erfüllt wird. Das kann in der Länge einzelner Glossen begründet sein, also sozusagen mechanische Ursachen haben. Es gibt typische Interlinearglossen, die aus Platzmangel an den Rand ausgelagert wurden – dieses Verfahren ist wohl einleuchtend und bedarf keiner weiteren Erklärung. Meist kamen die Annotatoren wohl am Zeilenende in eine solche Situation. Nur selten finden sich Interlinearglossen, die normalerweise immer über dem kommentierten Wort oder Ausdruck stehen, unter der Zeile. Die Zugehörigkeit ist dann durch Verweislinien1 oder Begrenzungslinien angezeigt, wie auch der Schreiber des Exemplars T einen Rahmen um die Glosse zu B2v 18, 7 furoris gezogen hat, um sie eindeutig der Zeile darüber zuzuordnen.

Einige andere Abweichungen haben aber unter Umständen mit den Vorlieben der einzelnen Schreiber zu tun. Beispielsweise findet man in manchen Exemplaren kürzere Glossen, die die meisten Annotatoren an den Rand schrieben, bevorzugt zwischen den Zeilen. Die Entscheidung, wo eine solche Glosse hinzusetzen sei, lag sicher allein bei den Schreibern und kann jeweils ganz unterschiedliche Gründe gehabt haben. An manchen Stellen ist das Verhältnis der Schreiber, die eine Glosse am Rand platzierten, zu denen, die sie zwischen die Zeilen schrieben, so ausgeglichen, dass es schwerfiel, eine Entscheidung zu treffen, wo die Glosse in der Edition auftauchen soll.

Überhaupt bereiteten diese Unterschiede in der räumlichen Anordnung der Glossen einzig Probleme bei der Erstellung der Edition, weil in vielen Fällen klar ist, warum die Schreiber so oder so verfuhren und was sie sich dabei dachten. Der Schreiber des Exemplars R etwa fing bei vielen langen Glossen, eigentlich typischen Marginalglossen, zwischen den Zeilen zu schreiben an, wohl weil er damit die Zuordnung der Glossen zum Text verdeutlichen wollte.2

6.1.2. Räumliche Zuordnung der Glossen bei zwei- und mehrteiligen Ausdrücken

Ein ebenfalls rein mechanisches Problem liegt vor, wenn ein im Text gesperrter Ausdruck kommentiert ist, wie gleich zu Beginn der Rede: quantum … studii (A2r 4, 3+6). Hier ist das Wort studium mit diligentia erklärt. Einige Annotatoren stellten die Glosse diligentiae bzw. quantum diligentiae räumlich zu quantum, andere zu studii, der Schreiber des Exemplars H hat seine Glosse sogar auf beide Wörter verteilt, also quantum über quantum und diligentiae über studii gesetzt. Dass die Glosse bei Johannes Kaufmann (Exemplar P) über quantum und über studii geschrieben steht und über quantum wieder ausgestrichen wurde, zeigt vielleicht, dass solche Stellen selbst den Schreibern Schwierigkeiten bereitet haben. Letzten Endes mussten sie aber irgendeine Entscheidung treffen.

Das war sicher ebenso, wenn statt eines Wortes oder eines Ausdrucks ein ganzer Satz zu kommentieren war. Hier findet sich bei 18 Schreibern die Glosse natürlich oft über den ganzen Satz verteilt. Häufig steht sie am Anfang oder am Ende des Satzes oder auch an einer Stelle, wo sie sich gut an den Text anschließen lässt. Probleme bei der Zuordnung bereitet das nicht, aber man muss sich als Benutzer der Edition der Problematik bewusst sein.

6.1.3. Berücksichtigung von Glossen

Ein weiteres Phänomen, das gerade auch in Hinsicht auf die Wortreihenfolge wichtig sein kann, ist die Berücksichtigung von Glossen oder Teilen davon. Damit ist aber nicht die Auslagerung von Glossen an den Rand gemeint, obwohl dies auch eine Art der Berücksichtigung ist. Man kann häufig erkennen, welche Glosse früher als eine andere geschrieben wurde, weil die spätere sichtbar der anderen »ausweichen« musste. Betrachtet man auf ↗ B1v in Exemplar Z die Glossen extraxit (zu B1v 25, 2 euocauit) und in celebritatem famę et nominis (zu B1v 24, 12–25, 1 in lucem), sieht man deutlich, dass Stephan Roth die in der Reihenfolge eigentlich spätere Glosse extraxit berücksichtigen musste, als er die Glosse in celebritatem famę et nominis niederschrieb.

6.1.4. Unterbrechung von Glossen

Eine Sonderform der Berücksichtigung stellt das Verfahren dar, dessen sich der Schreiber des ↗ Exemplars N bediente: Er ließ hin und wieder eine Unterbrechung von Glossen durch bereits vorhandene Glossen zu. Bei der Glossierung von A2v 14, 6 erkennt man, dass hier nicht etwa eine Form der Kontamination vorliegt: Die Glosse Deiotari steht durchaus dort, wo sie stehen soll, nämlich bei accusatione (A2v 14, 6), und die vorige Glosse zu 14, 4 sqq. antequam … dico ist hier sogar mitten im Wort unterbrochen, was niemand unabsichtlich tun würde. Man sieht deutlich, wie dunkel die Tinte in der unterbrechenden Glosse Deiotari ist, das unterbrochene Wort confutem dagegen ist eindeutig blasser, und obendrein ist dabei ein Blasserwerden des Wortes von links nach rechts erkennbar. Das nächste Wort (accusationem) ist wieder viel dunkler, d. h. da hatte der Schreiber die Feder offenbar wieder neu eingetaucht oder confutem ist noch später nachgetragen worden.

Dieses Phänomen ist auf den Schreiber des Exemplars N beschränkt; es gibt noch ein paar Stellen, an denen er so verfuhr. Fraglich bleibt, warum er sich dafür entschieden hat, anstatt z. B. zweizeilig zu schreiben, was er an anderen Stellen auch tat. Allerdings ist seine Schrift recht groß, das könnte ihn dazu bewogen haben, nicht zweizeilig zu schreiben.

6.2. Verschiedene Ebenen der Kommentierung

Die Kommentierung des Textes fand, wie auch in Abschnitt 4.3.1 dargelegt wurde, auf verschiedenen Ebenen statt. Das betrifft die Marginalglossen in etwas geringerem Maße als die Interlinearglossen, weil sie, auch wenn es inhaltliche Unterschiede zwischen ihnen gibt, sich in ihrer Art nicht unterscheiden: sie enthalten meistens weiterführende Informationen. Anders verhält es sich mit den Interlinearglossen. Die darin enthaltenen Informationen unterscheiden sich schon dem Charakter nach: Worterklärungen sind nicht das gleiche wie Synonyme, ganz zu schweigen von (syntaktischen) Verständnishilfen. All diese Informationen und Hilfen finden sich jedoch in den Interlinearglossen, bald einzeln, bald in Kombination mit anderen.

6.2.1. Synonyme, Verständnishilfen und mehr

Eine formale Abgrenzung dieser Informationen gibt es oftmals nicht. Jedoch ist in einigen Exmplaren, vor allem G und H, regelmäßig auch formal erkennbar, um welche Art von Erklärung es sich handelt. Die beiden Schreiber leiteten ihre Glossen sehr häufig mit id est bzw. scilicet ein, also mit den Wörtern, die Aubanus natürlich gebrauchte, wenn er den Kommentar-Text in lateinischer Sprache diktierte.3

Hierbei leitet id est Worterklärungen und Synonyme ein, scilicet Verständnishilfen oder Ergänzungen zum Satz, z. B. Personennamen, wenn im Text ein Pronomen steht, oder Vervollständigungen, wenn Cicero sich elliptisch ausdrückt.

Wenn beispielsweise der Schreiber des Exemplars H in dem Satz Quod igitur et occultius conari, et efficere cautius potuit, id tibi et medico callido et seruo (vt putabat) fideli non credidit?4 zu credidit schrieb: scilicet Deiotarus i e commisit, heißt das etwa: »Deiotarus muss man sich als Subjekt dieses Satzes vorstellen. credidit bedeutet ungefähr soviel wie commisit

Ähnliches finden wir (ebenfalls im Exemplar H) auf A3v, wo der Schreiber zu 31, 10 (in) facinorosum5 bemerkte: scilicet cadere posset / id est sceleratum, dann will er damit sagen: »Hier kann man cadere posset ergänzen. facinorosum heißt etwa das gleiche wie sceleratum.« Diese beiden Ebenen der Kommentierung weisen die meisten Exemplare ohne die Zusätze scilicet und id est auf. Im Grunde genommen bereitet dies auch keine Schwierigkeiten, weil jedem klar sein muss, dass, um das eben angeführte Beispiel heranzuziehen, cadere posset eben kein Synonym für facinorosum sein kann. Wie die Glossen zu verstehen sind, ergibt sich aus dem Kontext. Dass jedoch manche Annotatoren sich die Mühe machten, diese Einleitungsworte fast immer aufzuschreiben, ist eine interessante Beobachtung.

6.2.2. Textkritik und Textkorrekturen

Es gibt noch weitere Bereiche der Glossierung, zu denen auch Textkorrekturen und die Textkritik gehören. Während Korrekturen im Text hauptsächlich dort stattfanden, wo es sich um bloße Druckfehler6 handelte, gibt es auch einige, die auf Aubanus’ textkritische Studien zurückgehen. Oft enthalten solche Glossen nur eine kurze Information über Varianten, die Aubanus in anderen Textvorlagen gefunden hatte, und eine ebenso kurze Notiz, welche Variante er für besser hielt: Im Exemplar G ist zu A2r 18, 7 et angemerkt: pleraque exemplaria habent cum et est nitidior lectio.

Etwas ausführlicher behandelt ist die Stelle B1v 10, 1 defecerant, wo Aubanus sich nicht auf andere Texte stützte, sondern ausschließlich seine eigenen Überlegungen zugrunde legte: Etsi exemplaria quae hactenus vidi nullam habeant negationem ego tamen et quia ita patitur et longe nitidior est sensus addendam iudico.7 Die Länge dieser Glosse hat hier bewirkt, dass sie an den Rand zu stehen kam, jedoch blieb es nicht bei der bloßen Erklärung: Die meisten Annotatoren haben Aubanus’ Überlegung gemäß eine Negation direkt in den Text eingefügt, und zwar oft besonders ordentlich, so dass das Wort nicht wie Glossentext aussah, sondern in der Sorgfalt der Schrift dem gedruckten Text möglichst ähnlich war.8

6.2.3. Textergänzungen

Der gedruckte Text beinhaltet sehr oft Abkürzungen, z. B. für populus Romanus. Dabei ist, wenn dieser Ausdruck als P. R. oder Po. Ro. im Text steht, erst aus dem Kontext ersichtlich, um welchen Kasus es sich handelt. Man muss davon ausgehen, dass Aubanus beim Diktat die Wörter normal vorlas, so dass dann die entsprechende Form natürlich immer sofort erkennbar war. Ob es nun in der Vorlesung selbst oder bei der Nachbearbeitung geschah, wissen wir nicht, jedenfalls wird der Rest der Wörter an einigen Stellen von wenigen Schreibern ergänzt. Manchmal haben sie die abgekürzten Wörter vervollständigt, indem sie einfach den fehlenden Teil abgekürzt darüber schrieben, manchmal deuteten sie auch durch eine bloße Endung den Kasus an.

6.2.4. Prosodisch-Metrisches

Auch wenn dieses Thema wohl eigentlich nicht Teil der Vorlesung war, soll es hier doch angesprochen werden, denn an zwei Stellen im Exemplar S sind Zeichen zu erkennen, die sich auf Metrik oder Prosodie beziehen.

Dass man sich im Zusammenhang mit einer Cicerorede auch mit dem Prosarhythmus befasst, ist sicher nicht sehr ungewöhnlich. Ob es das damals war, können wir schlecht beurteilen. Ebensowenig ist sicher, ob Aubanus dieses Thema in der Vorlesung behandelte. Es ist, aufgrund dessen, dass von 18 Exemplaren nur eines solche Zeichen aufweist (noch dazu, wie gleich deutlich wird, ohne dass der Annotator sich auf den Prosarhythmus bezöge), und es keine anderen Glossen gibt, in denen der Prosarhythmus thematisiert wurde, allerdings sehr unwahrscheinlich. Wir wissen aber, dass Johannes Lange in seiner Vorlesung zu In Valerium9 über Metrik und über den Prosarhythmus gesprochen hat; wir können es den Nachschriften seiner Vorlesung entnehmen. Der Schreiber des Exemplars S hat auch einen Vorlesungsdruck In Valerium (1516) annotiert; wenn das vor der Annotation von Pro Rege Deiotaro geschah, könnte er die Zeichen für lange und kurze Silben von dort übernommen haben. Das wäre sehr gut möglich, da seine Nachschrift ohnehin als Abschrift gelten darf.

Die Notizen hier in Exemplar S haben jedoch nichts mit dem Prosarhythmus zu tun, sie sind viel elementarer und betreffen die Prosodie zweier Namen auf der Seite A3r: 28, 7 Hieras und 29, 11 Dorialus10. »#« steht als Zeichen für eine lange Silbe, »o« als Zeichen für eine kurze Silbe.11 Die Zeichen hier stimmen nicht mit den Quantitäten überein: # o o (−∪∪) passt nicht zu den Quantitäten des griechischen Namens ῾Ιέρας (∪∪−). Ebenso schwierig ist es im zweiten Fall, da wir mit o # o (∪−∪) nur drei Zeichen haben, es aber vier Silben gibt. Selbst wenn man die letzte Silbe vernachlässigt oder unterstellt, der Schreiber habe gewusst, dass es Dorylaus (Δορύλαος, ∪∪−×) heißen müsse, und habe die letzten zwei Silben als eine gelesen, passt es nicht, weil die zweite Silbe, die hier die Länge bekommen hat, auf keinen Fall lang ist.

Man kann nicht mit Sicherheit sagen, was hier genau passiert ist. Der erste Fall ließe sich vielleicht verstehen, wenn die Zeichen keine wirklichen Längen und Kürzen, sondern die lateinische Wortbetonung anzeigten,12 also x́xx für Hieras und xx́xx für Dorialus – zumindest ist anzunehmen, dass die Betonung dieses Namens, wenn es ihn gäbe, auf der bezeichneten Silbe läge. Auch wäre fast einzusehen, warum die Namen in dieser Weise kommentiert wurden: Eine Anzeige der Betonung bei selteneren, unbekannten Wörtern oder Namen kann tatsächlich hilfreich sein. Wirklich zufriedenstellend lässt sich das Problem hier jedoch nicht lösen. Dass der Annotator die Zeichen aus seiner Vorlage falsch abgeschrieben hat, ist sicher auch möglich, aber vielleicht nicht sehr wahrscheinlich.

6.2.5. Deutsche Glossen

Eine Sonderform der Worterklärungen stellen die deutschen Glossen dar. Sie sind freilich nicht auf die Interlinearglossen beschränkt. Hauptsächlich finden wir sie in den Nachschriften von Sebald Münsterer (Exemplar M) und Stephan Roth (Exemplar Z), häufig sind sie auch noch in Exemplar E, aber in anderen Exemplaren sind sie selten. Warum sie dort stehen, wo sie stehen, lässt sich nicht sagen, d. h. man kann nicht feststellen, warum bestimmte Wörter oder Ausdrücke von den Annotatoren dazu erwählt wurden, deutsch kommentiert zu werden, andere dagegen nicht.

Auffällig ist, dass beide Schreiber, Roth und Münsterer, sehr oft die gleichen Stellen deutsch glossiert haben und auch die Glossen sich dann weitgehend gleichen. Man muss das – so wurde es im Forschungsprojekt diskutiert – vermutlich auf eine Zusammenarbeit dieser beiden Studenten zurückführen. Wäre die Übersetzung einzelner Wörter Bestandteil der Vorlesung gewesen, dann hätte man bei dem Grad der Übereinstimmung, der sich für die Vorlesung insgesamt beobachten lässt, in anderen Exemplaren auch viele deutsche Glossen finden müssen.

6.2.6. Griechische Wörter

Griechische Wörter, oder vielmehr: in griechischen Buchstaben geschriebene griechische Wörter sind sehr selten. Meist wählten die Schreiber für griechische Wörter sogar die lateinische Schrift. Einige, die versuchten, griechisch zu schreiben, irrten sich hier und da und verwendeten dann einen lateinischen Buchstaben. Vielleicht darf man von diesem Befund auf die Griechischkenntnisse des durchschnittlichen Vorlesungsbesuchers schließen.

Die griechisch geschriebenen Wörter bilden strenggenommen keine eigene Glossierungsebene. Ihr Vorhandensein ist aber auch zu wichtig, um sie in dieser Zusammenstellung zu übergehen.

6.2.7. Glossen zur Glosse

An einigen Stellen haben Schreiber sogar Glossen glossiert, d. h. ein Wort in einer Glosse durch ein Synonym erklärt oder andere Kommentare dazu geschrieben, wie deutlich auf A2v in ↗ Exemplar M zu erkennen ist; es geht um die unterste Marginalglosse in der äußeren Spalte des linken Randes und die zwei kleinen Glossen links daneben.

Der Glossentext lautet: Contuplicacio est. que fit cum racione amplificacionis aut commiseracionis eiusdem verbi aut plurium verborum fit iteracio hoc modo, Nunc eciam audes in horum aspectum venire proditor patrie. Proditor g inquam patrie etcetera. Vide Cice. in 4 ad Heren. Münsterer hat zunächst wohl amplificacionis näher erläutert13: [w]ens [ei]n ora[to]r dap[f]fer wil machen. Weiter unten erklärte er iteracio mit frequen[t]acio. Er verfuhr also ähnlich wie bei der Kommentierung des gedruckten Textes.

Diese beiden Glossen hat Roth (Exemplar Z) übrigens auch, nur stehen sie bei ihm im fortlaufenden Text: Conduplicatio est quae fit cum ratione amplificationis  wen es ein orator wil tapffer machen  aut commiserationis eiusdem verbi aut plurium verborum fit iteratio  id est frequentatio  hoc modo. Nunc etiam audes in horum aspectum venire proditor patrię. proditor inquam patrię etcetera. Ci: 4 ad He.14

Dass Glossen in dieser Weise selbst glossiert sind, kommt sehr selten vor. Ob Aubanus vielleicht solche Erklärungen wie in diesem Fall zu iteratio eingeflochten haben mag, lässt sich nicht feststellen. Allerdings ist es eben aufgrund der Seltenheit des Phänomens und der Tatsache, dass nur wenige Schreiber so verfuhren, recht unwahrscheinlich.

6.2.8. Lemmata und Indizes

An den Rändern finden sich in vielen Nachschriften oftmals Ausdrücke, die in einer anderen, meist größeren Schrift und nicht selten mit roter Tinte geschrieben sind. In der Regel nehmen sie Wörter oder Wendungen aus dem gedruckten Text auf und sollten vermutlich einfach der Orientierung im Text dienen. Wo und in welcher Form sie auftauchen, war ganz dem Belieben des jeweiligen Schreibers überlassen. Beispielsweise schien es Stephan Roth (Exemplar Z) nützlich, zu Sed tua Caesar praestans singularisque natura …15 das Lemma Cęsaris natura zu setzen, um eben die Stelle zu markieren, an der im Text von Cäsars Persönlichkeit die Rede ist.

Die Schreiber nahmen aber auch gerne Stichworte aus anderen Glossen auf: Roth hielt offenbar die Erklärung von A2v 29, 4 tam mit tantum für so wichtig, dass er ein Lemma tam pro tantum in den Druck schrieb. Stephan Roth (Exemplar Z) ist übrigens der einzige Schreiber, der, wo Platz freigeblieben war, auch regelmäßig zwischen die Zeilen Lemmata setzte, natürlich immer in die Nähe der Wörter, die er damit aus dem Text aufnahm.

In den Exemplaren G und Z findet man jeweils einen Wortindex, in dem alle Lemmata alphabetisch und mit Seitenangaben aufgeführt sind, so dass ein Benutzer des annotierten Exemplars die entsprechenden Stellen anhand des Index wiederfinden konnte. Der Annotator des Exemplars G hat seinen Index auf ein gesondertes Blatt geschrieben, das nach Pro Rege Deiotaro in den Sammelband eingebunden ist. Stephan Roth (↗ Exemplar Z) dagegen hat sich entschieden, den freien Platz auf der ersten Seite (A1r) und die ganz unbedruckte Seite A1v dafür zu benutzen.

Einige Nachschriften (die Exemplare A, C, N, R, S und U) weisen keinen Index auf, wohl aber Lemmata. Es ist möglich, dass die Erstellung eines Index von den Schreibern geplant, aber nicht mehr ausgeführt wurde. Der Annotator des Exemplars N hat ab der Seite B2r die Lemmatisierung schon ganz aufgegeben. Womöglich hielten manche einen Index nicht für zwingend notwendig und haben bei Bedarf einfach die Stichworte am Rand durchgesehen; immerhin ist die Rede relativ kurz und der Druck mit sieben Blättern recht übersichtlich.

6.3. Verweise – Linien und Zeichen

6.3.1. Verweise auf Glossen

In manchen Situationen ist es hilfreich, auch optisch eine Verbindung zwischen bestimmten Textteilen herzustellen. So finden sich in einigen Vorlesungsnachschriften zahlreiche Linien, die sich unter Umständen quer über das ganze Blatt erstrecken und von einer Textstelle auf die zugehörige Marginalglosse verweisen sollen. Je nachdem, wie gut ein Schreiber sich den Platz am Rand einzuteilen vermochte, finden wir mehr oder weniger von diesen Verweislinien. Geradezu exzessiv setzte sie der Schreiber des ↗ Exemplars G ein.

Das ist jedoch nicht die einzige Methode, welcher er sich bediente: Zusätzlich benutzte er verschiedene Zeichen, die jeweils im gedruckten Text und am Beginn einer Marginalglosse stehen; das entspricht etwa der bei uns gebräuchlichen Kennzeichnung von Fußnoten. Manche Schreiber begnügten sich auch ausschließlich mit solchen Verweiszeichen, wie beispielsweise der des ↗ Exemplars T, der übrigens gerne Zahlen dazu verwendete.

Dem ähnelt die Methode, die der Annotator des Exemplars E gebrauchte; es handelt sich um eine Art Lemmatisierung. Er wiederholte, meist am Ende der Glosse, den Textabschnitt, den er kommentierte. Das tat er jedoch nicht bei allen Glossen.

Andere wiederum kamen ganz ohne derartige Hilfsmittel aus, und die Vermutung liegt nahe, dass sie versuchten, die Verbindung über die Positionierung der Marginalglossen deutlich zu machen. Es dürfte sich von selbst verstehen, dass man diese Methode in der Regel nur in Exemplaren finden wird, deren Annotatoren vorher die Platzierung der Glossen genau planen konnten, wie etwa der Schreiber des Exemplars C oder der des Exemplars S.16

In Exemplar R ist diese Technik vielleicht noch erweitert worden. Der Annotator hat zwar auch einige Verweislinien gezogen, aber hin und wieder begann er mit einer längeren Glosse zwischen den Zeilen und setzte sie, wenn er den Rand erreicht hatte, einfach fort,17 wohingegen andere gleich am Rand zu schreiben begannen. Allerdings funktonierte das freilich nur mit Glossen, die er an den rechten Rand schrieb.

Verweislinien wurden auch hin und wieder für die Interlinearglossen eingesetzt, und zwar dann, wenn der Schreiber eine Glosse versehentlich an den falschen Platz geschrieben hatte oder er sie, weil der Platz fehlte, nicht genau über das Wort schreiben konnte, das er erklären wollte. Dabei ist es oft der Fall, dass die Glosse an den Rand ausgelagert ist, aber nicht immer. Manchmal steht sie einfach nur versetzt zu ihrem eigentlichen Bestimmungsort. Bei Sebald Münsterer (↗ Exemplar M) kann man am Ende von Zeile 30 auf der Seite A2r beobachten, wie die Glossen sich verschoben haben: huius, offenbar ein Nachtrag zu 30, 8 ipsius, wäre nicht mehr an der richtigen Stelle untergekommen, weshalb Sebald Münsterer die Glosse dort hinschreiben musste, wo noch Platz war, und zur Zuordnung eine Verweislinie benutzte. Durch den Nachtrag verschob sich aber auch noch die nachfolgende Glosse quia zu A2r 30, 10 quod, die ebenfalls eine Verweislinie erhielt.

6.3.2. »Indirekte« Glossen

In einigen Exemplaren, nämlich einmal in A, S und Z, zweimal in M und öfter in Q, begegnet uns eine einfache und schnelle Methode, Glossen aufzunehmen: Anstatt, wie es die gängige Praxis war, ein erklärendes Wort über das zu kommentierende Wort zu schreiben, zogen die Annotatoren der genannten Drucke, falls das Wort im gedruckten Text in der Nähe stand, einfach eine Verweislinie dorthin.

Nicht selten verwendete der Schreiber des Exemplars Q diese Technik, um von einem Relativpronomen auf das Beziehungswort zu verweisen, während dieses in anderen Exemplaren ausgeschrieben ist, wie man an der Kommentierung zu B1v 13, 6 quos in den Exemplaren Q und G sehr schön erkennen kann: ↗ Exemplar G hat scilicet equites, ↗ Exemplar Q nur eine Verweislinie.

Aber auch an anderen Stellen kam diese Art der Kommentierung im Exemplar Q zum Einsatz, sogar wenn der Ausdruck, auf den der Schreiber verwies, in einer anderen Zeile stand, wie bei der Kommentierung zu A4r 15, 6–7 si veneno, wo der Schreiber einfach eine Linie nach 14, 6–7 te interemisset zog. Andere Exemplare haben an dieser Stelle die Glosse te interemisset ausgeschrieben.

Diese indirekten Glossen konnten natürlich an die Form des glossierten Wortes nicht angeglichen sein, so etwa im Fall der Kommentierung von B1v 13, (5–)6 (equitibus,) quos: In Exemplar G kongruiert die Glosse scilicet equites mit dem kommentierten Wort quos, das kann die Verweislinie in Exemplar Q nicht leisten. Das scheint den Schreiber jedoch nicht gestört zu haben.

6.3.3. Verständnishilfen

Es gibt noch eine Art von Verweis; er besteht in der Markierung von Wörtern. Es handelt sich dabei um Unterstreichungen, aber wir finden die Markierungen nicht nur in dieser uns vertrauten Form, also als Strich unter den Wörtern, sondern auch über den Wörtern oder sogar durch die Wörter hindurch oder als Kombinationen aus zweien oder allen dieser Möglichkeiten.

Diese Anstreichungen stellen einfach Verständnishilfen oder besser: Orientierungshilfen dar. Zusammengehörige Wörter sollten auf einen Blick als zusammengehörig erkennbar sein. Die unterschiedliche Markierung erlaubte es, verschiedene Ausdrücke auseinanderzuhalten. Bei A2r 4, 3–6 (quantum mea fides studii) in ↗ Exemplar H sieht man sehr schön, wie der Schreiber diese Technik einsetzte: Er kennzeichnete, um zu zeigen, dass quantum studii ein zusammengehöriger Ausdruck ist, die Wörter jeweils mit einem Strich darüber, während er für den sperrenden Ausdruck mea fides (diese Wörter gehören ja ihrerseits zusammen) die Unterstreichung verwendete.

Auch um deutlich zu machen, was der Kern eines Satzes sei, benutzten die Schreiber Anstreichungen. Wie man in Sebald Münsterers Nachschrift (↗ Exemplar M) sehen kann, hat er durch Markierung von cum und liceat in dem Teilsatz Nam cum more Maiorum de seruo in dominum ne tormentis quidem queri liceat: (A2r 20, 2–21, 3) angezeigt, dass liceat das Prädikat im cum-Satz ist, und damit ebenfalls eine Verständnis- und Orientierungshilfe geschaffen.

6.4. Andere Phänomene

Es fallen noch andere Phänomene in den verschiedenen Exemplaren auf, die es einfach als solche zur Kenntnis zu nehmen gilt. Viele davon sind eng mit den Gewohnheiten der einzelnen Schreiber verbunden, weshalb man sie meist als Unterschiede zwischen den Nachschriften wahrnimmt. Bei der Entstehung einiger solcher Phänomene mag jeweils ein Irrtum oder ein Missverständnis eine Rolle gespielt haben.

6.4.1. Eine oder zwei Glossen?

Hin und wieder ist es schwer zu entscheiden, ob zwei Glossen wirklich als zwei getrennte Glossen oder als eine einzige Glosse aufzufassen sind. Nicht in allen Nachschriften ist die Glossengrenze durch einen senkrechten Strich deutlich angezeigt, lediglich bei den Schreibern der Exemplare G und U scheint dies zur Standardprozedur gehört zu haben, in den Exemplaren M und N fand diese Methode auch regelmäßig Anwendung.

Es gibt Fälle, die nur formale Probleme bei der Edition bereiten, und sie wurden in Abschnitt 6.1.2 bereits behandelt. Viel schwieriger stellen sich die Fälle dar, in denen die Trennung inhaltlich schlecht zu vollziehen ist, obwohl manche Schreiber sie ausdrücklich angezeigt haben: Die Glosse falsa accusatio zu A2v 21, 3–4 fictum crimen beispielsweise dürfte jedem als eine Einheit erscheinen, weil das Adjektiv falsa genau mit dem Substantiv accusatio kongruiert. Einige Schreiber (Exemplare C, H und L) haben sogar accusatio falsa geschrieben, so dass also schon von der Wortstellung her keine Möglichkeit besteht, die Glosse getrennt auf die Wörter im Text zu verteilen. Allerdings legt die räumliche Aufteilung in manchen Exemplaren (A, B, R und S) bzw. das Vorhandensein von Glossentrennstrichen (G und U) nahe, dass der Ausdruck zumindest von diesen Schreibern vielleicht nicht als eine Glosse angesehen wurde.

Wie es dann allerdings zur Aufnahme der Form falsa kam, darüber kann man nur spekulieren. Vielleicht kam die Erklärung von crimen früher, z. B. könnte Aubanus etwa gesagt haben: »crimen id est accusatio, et fictum crimen id est falsa accusatio«. Dann hätten manche Schreiber wohl zunächst accusatio aufgeschrieben und dann einfach nur schnell falsa davor ergänzt.

Ähnlich liegt der Fall, wenn ein zusammenhängender Ausdruck kommentiert ist. Dabei hatten die Schreiber damit freilich keinerlei Schwierigkeiten. Lediglich in der Dokumentation sind diese Stellen manchmal schwer darzustellen, nämlich dann, wenn einige Schreiber nur den einen Teil des Ausdrucks kommentiert haben, andere nur den anderen Teil und wieder andere beides zusammen, wie z. B. bei Crudelem Castoremne (A2r 12, 3 u. 12, 4): Fast alle Annotatoren glossierten jedes Wort für sich, also Crudelem etwa mit saeuum, Castoremne mit accusatorem.18 Nur in Exemplar N sind beide Glossen zusammengefasst zu accusatorem saeuum, was eindeutig durch die Wortstellung in der Glosse bewiesen wird.

6.4.2. Wortstellung und Reihenfolge

Etwas, das stärker die Marginalglossen betrifft, weil sie allein durch ihre Länge schon viel mehr Gelegenheit zur Variation bieten, ist die Wortstellung in Sätzen. Es verwundert sicher nicht, dass ein Schreiber – gewollt oder ungewollt – solch eine Veränderung vornehmen konnte, und man muss annehmen, dass es beim Diktat ebenso häufig passierte wie beim Abschreiben. Es gibt m. W. keinen Fall, in dem sich der Inhalt einer Glosse dabei signifikant ändert.

Interlinearglossen scheinen ob ihrer Kürze kaum betroffen sein zu können. Da sie meist nur aus einzelnen Wörtern und nicht aus Sätzen bestehen, ist es auch nicht in allen Fällen wirklich angebracht, von Wort- oder Satzstellung zu sprechen. Allerdings lässt sich an manchen Stellen beobachten, dass ein Schreiber verschiedene Erklärungen (z. B. Synonyme) in einer anderen Reihenfolge niedergeschrieben hat als ein anderer. Die Gründe dafür sind theoretisch zahlreich und praktisch unbekannt. Von der eigentümlichen Arbeitsweise des betreffenden Schreibers über besondere Umstände beim Diktat bis hin zum Abschreibfehler wäre alles denkbar.

Das Phänomen schlägt sich zwar als Unterschied in der Darstellung der Glossen nieder, aber inhaltlich ist der Unterschied im Grunde geringer als wenn ein Exemplar bestimmte Wörter aufweist, ein anderes dagegen nicht.

6.4.3. Nachträgliche Ergänzungen

Nachträgliche Ergänzungen sind besonders interessant für uns, weil sie zum einen zeigen können, dass ein Schreiber nachgearbeitet hat, zum anderen aber auch, wie ein Schreiber nachgearbeitet oder überhaupt gearbeitet hat.

Dabei können die einzelnen Phänomene ganz unterschiedlich sein. Oft kann das Einfügen von Lemmata, sofern welche vorhanden sind, und das Erstellen eines Index als Nachbearbeitungsschritt identifiziert werden, häufig sogar deutlich sichtbar durch die Berücksichtigung von Glossen oder Glossenteilen.

Stephan Roth (Exemplar Z) ist einer der Annotatoren, die stark nachgearbeitet haben. Bei ihm findet sich sehr viel Sondergut, und sein Wortindex, in dem er die Lemmata aufgenommen hat, ist sicher beispiellos.

Eine Kuriosität stellt das ↗ Exemplar N dar, da es Korrekturen und Ergänzungen in roter Tinte aufweist. Offenbar hielt der Schreiber es für angezeigt, neben den wenigen Lemmata, die er auch mit Rot schrieb, und den Unterstreichungen im Text an einigen Stellen – eigentlich unnötige – Zeichen einzutragen wie z. B. einen Bogen über dem u von A2v 21, 6 Quamobrem, und Großbuchstaben zu verzieren. In ähnlicher Weise verfuhr er mit dem Glossentext zu A2r 11, 2 Accedit: adiungit hatte er zunächst geschrieben, und er ergänzte später in roter Tinte einen u-Bogen und beseitigte außerdem einen Fehler, indem er die Endung des Wortes in -tur änderte, so dass als endgültige Version adiungitur stehenblieb.

Wahrscheinlich ist dieser Annotator nicht der einzige, der solche Veränderungen vorgenommen hat. Seine sind nur die einzigen, die man gut erkennen kann, weil sie in einer anderen Farbe geschrieben sind. Zudem ist klar, dass es sich hier um einen späteren Durchgang handeln muss, weil die Lemmata in Exemplar N sehr schön in die Lücken zwischen den Marginalglossen eingepasst sind. Vermutlich korrigierte der Schreiber, als er nebenbei Fehler bemerkte, diese einfach mit der Feder, die er gerade in der Hand hielt.

Eine Verzierung von Großbuchstaben hat er übrigens nicht als einziger hinzugefügt. Es gibt viele andere Schreiber, die ebenso verfahren sind.

6.5. Fehler

War bisher von Abweichungen die Rede, die mehr in den Gewohnheiten der Schreiber und anderen, teilweise äußeren Faktoren begründet liegen, sollen nun die echten Fehler behandelt werden, die rein auf Irrtümern beruhen. Sie lassen sich nicht alle kategorisieren, viele bleiben einfach Irrtümer.

6.5.1. Hörfehler

Hörfehler sind für uns von besonderem Interesse, weil sie nur in einer Diktatsituation entstanden sein können. Wenn sie in einer Nachschrift auftauchen, dann kann das ein Hinweis darauf sein, dass es sich um eine Mitschrift handelt. Leider lassen sich Mitschriften dennoch nicht eindeutig nachweisen: Hörfehler können auch aus einer Vorlage abgeschrieben sein. Überhaupt ist es manchmal schwierig, Hör- und Abschreibfehler19 als solche zu identifizieren, denn was sich ähnlich anhört, wird meistens auch ähnlich geschrieben. Zudem gab es keine verbindliche Orthographie.

In den Nachschriften zu dieser Vorlesung sind einige Hörfehler zu finden. So ist es vermutlich auf die damals übliche Aussprache (der Halbvokal wurde als f-Laut artikuliert20) zurückzuführen, dass aus Pharsalicus, a, um in drei Nachschriften Versalicus, a, um wurde: In Exemplar A hat der Annotator zu A4v 28, 2 victam die Glosse bello Versalico notiert. In Exemplar P lesen wir zu B1v 16, 4–7 post Pharsalicum autem proelium die Erklärung hoc est post Pompeium in campo Versalico deuictum. Im Argumentum schrieb der Annotator des Exemplars T post pugnam verarsalicam. Man kann nicht genau sagen, ob zumindest den letzten beiden Schreibern u (v) und ph als orthographische Variante galt. Denn in Exemplar P steht Pharsalicum im kommentierten Textabschnitt und in Exemplar T finden wir als Glosse zum Argumentum a pharsallo oppido thessalie nominatur hinc campi Pharsalici, wo die Stadt und das vom Stadtnamen abgeleitete Adjektiv mit ph geschrieben sind. Der Schreiber merkte auch, dass er das Wort im Argumentum verhört hatte, sonst hätte er nicht versalicam in varsalicam geändert. Aber alle hier erwähnten Annotatoren (oder die Schreiber ihrer Vorlagen, sofern sie es nicht selbst waren) verhörten das a in der ersten Silbe zu e. Überraschenderweise hat, obwohl ich nicht als f-Laut auszusprechen pflege und mich auch sonst bemühte, in dem Vorlesungs-Experiment, das im Anhang beschrieben ist, deutlich zu sprechen, einer der Teilnehmer im Argumentum den gleichen Fehler gemacht und post pugna<m> versalicam geschrieben.21

Namen eignen sich offenbar besonders gut dazu, in Diktaten Verwirrung zu stiften. Ein recht amüsanter Fehler ist nämlich auch den Schreibern der Exemplare A, C, P und W unterlaufen. Sie schrieben in der Marginalglosse zu A2r 3, 4 ff. tamen in hac causa … fälschlicherweise pro Aulo Fluentio (A, C und P) bzw. pro Aulo Luentio (W), wo natürlich pro Aulo Cluentio gemeint war. Bei dem Befund im Exemplar W wäre es sogar denkbar, dass der Schreiber das nicht als ersten Buchstaben ansah, sondern diesen zunächst ausließ, weil er den entsprechenden Laut nicht genau verstanden hatte; zu der Ergänzung wäre es dann einfach nicht mehr gekommen.22

Es gibt noch andere Phänomene bei denen es zwar eine Rolle spielt, was die Vorlesungsteilnehmer gehört haben, die man aber nicht als reine Hörfehler bezeichnen kann. Solch ein Fehler wird weiter unten23 vorgestellt.

6.5.2. Abschreibfehler

Wenn schon das Schriftbild in vielen Nachschriften deutlich darauf hinweist, dass es sich bei ihnen um Abschriften handelt, so findet man diese Beobachtung häufig durch typische Abschreibfehler bestätigt. Diese sind vielfältig und können sich in der Verwendung eines falschen Wortes, als Auslassung oder Doppelung24 eines Wortes, in der falschen Zuordnung oder Aufteilung einer Glosse oder auch in der Kontamination25 von Glossen niederschlagen.

Ein ganz simpler Fall ist in Exemplar A dokumentiert: Das Wort A2r 31, 5 parum wird von vielen mit non (bzw. id est non) kommentiert. Der Annotator des Exemplars A hat jedoch modo geschrieben. Nun ist no̅ die gängige Abkürzung für non, und die gängige Abkürzung für modo schreibt sich mo̅. Das bedeutet, dass der Schreiber des Exemplars A eine Vorlage hatte (ob es nun seine Mitschrift war oder eine Fremdvorlage), in der das n so undeutlich geschrieben war, dass er es für ein m halten musste.

Die gravierendsten Abschreibfehler finden wir in Exemplar Q auf der Seite A2r in der Marginalglosse zum Beginn der Rede (Modum in principiis …). Der Schreiber hat einfach aufgeschrieben, was er in seiner Vorlage zu sehen glaubte – darüber, ob es einen Sinn ergab, dachte er offenbar nicht nach, oder er verstand den Text nicht: Er schrieb für adhiberi das unsinnige Wort ahheri, machte aus suspectae perplexae et infames die ebenfalls unsinnige Phrase suspecta complexum et infantes und verlas abalienatum zu dem Fantasie-Ausdruck in abel senatum.26 Besonders auffällig ist auch die Teilung dieser Glosse: Nach quot (alle anderen Exemplare haben hier quia) bricht sie scheinbar ab. Unter einer Stellenangabe am rechten Rand, die eine eigene Glosse darstellt, folgt in Exemplar Q noch eine scheinbar eigenständige Glosse: Idem Cesar …, die allerdings in Wirklichkeit, wie man aus einem Vergleich mit den anderen Nachschriften erkennen kann, den restlichen Text der Glosse Modum in principiis … darstellt.

Die Vorlage, die der Schreiber des Exemplars Q benutzte, scheint nicht seine eigene Mitschrift zu sein,27 zumindest nicht an dieser Stelle, und sie ist aus irgendeinem Grund schlecht lesbar gewesen, sonst hätten diese Fehler so nicht zustande kommen können.

6.5.3. Zuordnungsfehler

Während sich bei einigen Glossen, die in verschiedenen Exemplaren unterschiedlich zugeordnet sind, dies häufig dadurch erklären lässt, dass die entsprechende Anmerkung sich auf einen größeren Teil des Satzes oder sogar den ganzen Satz bezieht, gibt es auch Fälle, in denen Annotatoren eine Glosse wirklich falsch platziert haben.

Zum Beispiel hat der Schreiber des Exemplars B auf A2v die Glosse mansuetudinem, die in anderen Exemplaren sinnvollerweise bei 22, 7 clementiam zugeordnet ist, zu 22, 5 constantiam gestellt, und zwar nicht, weil er auf andere Glossen, Tintenkleckse oder Löcher in der Buchseite hätte Rücksicht nehmen müssen.

Solch ein Zuordnungsfehler könnte beim Abschreiben passiert sein: Wenn in der Vorlage nicht klar war, wo genau die Glosse hingehörte, dann konnte sich der Annotator leicht täuschen.

Allerdings ist nicht gesagt, dass etwas Derartiges nicht auch direkt beim Mitschreiben geschehen konnte. Die Exemplare G und R dokumentieren einen Fehler, der vermutlich auf die Situation in der Vorlesung zurückzuführen ist. Beide Annotatoren haben B2r 20, 1 inhumanitate mit dexteritatem28 kommentiert, während in anderen Exemplaren crudelitate steht. Nun ist diese Erklärung nicht nur unzutreffend, sondern sie stimmt auch in der Form nicht mit dem erklärten Wort überein. Wirft man einen Blick auf die Glosse zu 20, 4 humanitatem, die allerdings im Exemplar R nicht vorhanden ist, wird klar, dass es hier zu einer Verwechslung gekommen sein muss: crudelitate (Exemeplar G) passt weder in Form noch Inhalt an diese Stelle, dafür aber hervorragend zu 20, 1 inhumanitate, und entspricht dabei genau der Glosse in den anderen Exemplaren (vgl. oben). Umgekehrt wäre die Glosse (id est) dexteritatem natürlich bei 20, 4 humanitatem besser aufgehoben.

Beide Begriffe, humanitas und inhumanitas dürften den Vorlesungsbesuchern eigentlich bekannt gewesen sein; es sind keine wirklich ausgefallenen Vokabeln. Man könnte sich aber vorstellen, dass diese Verwechslung der Diktatsituation zu verdanken ist. Wenn Aubanus z. B. beide Wörter, eben weil sie Gegensätze sind, gemeinsam erklärt hätte, dann hätte ein Moment der Unachtsamkeit leicht dazu führen können, dass ein Schreiber die Synonyme an die falsche Stelle schrieb.

6.5.4. Kontamination

Kontamination von Glossen kommt in der Regel nur in Abschriften vor. Bei nicht eindeutiger Trennung der Glossen in der Vorlage konnte ein Schreiber zwei Glossen leicht als eine Glosse betrachten, wie es der Annotator des Exemplars H getan hat. Während andere Schreiber A3r 3, 2 amicitiae mit non bene cultae und 3, 3 culpam mit accusationem glossierten, setzte dieser Schreiber schon zu Beginn der Zeile an und schrieb scilicet non bene ad accusationem culte. Anscheinend fiel ihm auf, dass die Glosse so keinen Sinn ergab, weswegen er zumindest accusationem durchstrich. Ob ad versehentlich stehengeblieben ist, ist nicht leicht zu beantworten. Vielleicht stand in der Vorlage tatsächlich etwas, das wie ad aussah und die Kontamination überhaupt erst auslöste.

6.5.5. Verschreibungen

Es gibt Fehler, die sich natürlich im weitesten Sinne auch bei den Rechtschreibfehlern einordnen ließen. Einige sind sicher aufgrund von Flüchtigkeit entstanden, aber bei den meisten spielen noch äußere Einflüsse eine Rolle, und daher schien es wenig passend, sie rein als Flüchtigkeitsfehler zu bezeichnen. Verschreibung ist ein allgemeinerer und daher passenderer Begriff.

So begegnet, um bei der im vorigen Abschnitt besprochenen Glosse zu bleiben, im Exemplar N bei A3r 3, 2 amicitiae die Variante non bene culpae (statt cultae). Es handelt sich dabei vermutlich nicht um einen Hörfehler, obgleich der Einfluss des Gehörten bei diesen Fehlern nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden darf. Viel entscheidender dürfte hier aber sein, dass das folgende Wort im Text culpam lautet. Der Schreiber hat dieses Wort bei der Niederschrift der Glosse unweigerlich vor Augen gehabt und cultae gewiss unbewusst daran angeglichen.

Es existieren noch zahlreiche ähnliche Fälle. Meistens liegt der Verdacht nahe, dass Schreiber Wortendungen versehentlich an ein Wort im Umfeld, d. h. an ein Wort im Text oder in einer Glosse angeglichen haben, wie es vermutlich in den Exemplaren N und R bei B3r 21, 3 misericordiae geschehen ist. Andere Exemplare haben etwa tuae clementiae oder tuae mansuetudini. Die Schreiber von Exemplar N und R haben beide Begriffe, allerdings schrieben beide mansuetudine, also die falsche Form, obwohl beide mit clemencie (Exemplar N) bzw. clementię (Exemplar R) den richtigen Kasus verwendeten. Hier liegt gewiss eine unbewusste Angleichung vor, die nur dadurch zustande kommen konnte, dass beide Schreiber statt -ae einfaches -e bzw. gebrauchten.

Es gibt auch typische Flüchtigkeitsfehler wie vergessene oder überflüssige Buchstaben, wobei man sogenannte Schwungbögen auch zu letzteren rechnen sollte. Ein Schwungbogen wäre z. B. der letzte Bogen in einem m mit vier Bögen. Aufgrund der damals gebräuchlichen Abbreviaturen kann es natürlich vorkommen, dass ein Schwungbogen – je nach Form und Richtung – theoretisch für einen ganzen Buchstaben stehen könnte, wie im Exemplar H auf der Seite B1v, wo der Schreiber zu 32, 10 indicere nicht etwa denunctiare (was er vermutlich beabsichtigte), sondern dadurch, dass er die Feder in einem Bogen über den letzten Buchstaben zog, denunctiarem schrieb.

6.5.6. Zur Orthographie

Die Phänomene, die die Orthographie betreffen, wurden bereits in den Profilen der einzelnen Schreiber dargestellt. Der Wechsel zwischen ae, ę und e oder -tio und -cio ist dabei überhaupt nicht anstößig, es handelt sich um gängige Varianten. Deshalb sind sie in der Dokumentation bei den Interlinearglossen auch nur gelegentlich als solche vorhanden, d. h. die Rechtschreibung wurde dort der Übersichtlichkeit halber manchmal angeglichen.29

Es gibt jedoch auch Phänomene, die man als Rechschreibfehler bezeichnen könnte. Es es ist zwar schwierig, von Rechtschreibfehlern zu sprechen, wo keine verbindliche Orthographie vorhanden ist, aber es gibt auch Fehler, die nicht durch äußere Gegebenheiten verursacht wurden, sondern allein durch Fehlentscheidungen der Schreiber, wenn auch andere Faktoren wie Flüchtigkeit hier und da eine Rolle gespielt haben mögen.

Ein Beispiel dafür wäre etwa, dass Sebald Münsterer (Exemplar M) Medello statt Metello30 schrieb. Wir wissen zwar nicht, ob der durchschnittliche Vorlesungsbesucher schon von den Metellern gehört hatte, also wissen konnte, wie man den Namen normalerweise schreibt. Es gibt allerdings 16 andere Annotatoren, welche die übliche Schreibweise Metello benutzten. In die gleiche Kategorie fällt auch inquid für inquit, eine Variante, die uns in den Exemplaren G und H immer begegnet.

Man darf als Mitursache für diese Fehler vielleicht Aubanus’ Dialekt und den Dialekt der Schreiber selbst vermuten: Von Aubanus und Münsterer wissen wir, dass sie aus Franken kamen. Wir wissen zwar nicht, woher die Schreiber der Exemplare G und H stammten, aber neben dem ostfränkischen Sprachraum wäre immerhin auch der thüringisch-obersächsische Sprachraum als Herkunftsgebiet durchaus möglich. Jedenfalls können, wenn zwischen stimmlosem und stimmhaftem Dental praktisch nicht unterschieden wird, solche Fehler leicht passieren.31 Sie sind deshalb keine reinen Hörfehler, sind jedoch unter Umständen durch die Diktatsituation begünstigt worden, aber natürlich auch durch mangelnde Vorkenntnisse der Annotatoren. So stellt etwa bachate statt pacate als Erklärung zu A4r 32, 7 quiete einen erheblichen Missgriff Sebald Münsterers dar.

Ebenso kurios ist manchmal die Schreibung von Namen, die im gedruckten Text vorkommen (wo man sie hätte abschreiben können). Beispielsweise ist in Exemplar G der Name Deiotarus immer als Deioterus zu lesen, in Exemplar O durchgängig als Deiotterus (abgekürzt meistens Deiott), der Annotator des Exemplars E schreibt sowohl Deioterus als auch Deiotarus.

6.5.7. Nicht kategorisierbare Fehler

Einige Fehler, lassen sich keiner der Kategorien hier zuordnen, oder es ist nicht sicher, welche Kategorie die zutreffende ist.

Ein gutes Beispiel dafür ist der Fehler, der wahrscheinlich ausnahmslos allen Vorlesungsbesuchern in der Glosse zu A2r 9, 6 ff. quem ornare antea cuncto cum senatu solebamus unterlief – übrigens auch den Studenten, die an dem im Anhang beschriebenen Experiment teilnahmen. Das Zitat aus Ciceros Rede de haruspicum responsis (29), das Aubanus diktierte, hätte zum Schluss heißen müssen: … tu etiam regem appellari cum Brogitaro iubes. Brogitarus war ein Schwiegersohn des Deiotarus, was aus dem nicht mehr zitierten Teil von har. resp. 29 hervorgeht, nur konnte das von den Vorlesungsteilnehmern (damals wie heute) sicher niemand wissen. Entsprechend setzten sie das Gehörte um:32

A tu etiam regem appellari cum pro chitaro iubes.
B tu etiam regem appellari cum pro githaro iubes.
C tu etiam regem appellari cum pro githaro iubes.
G tu etiam regem appellari cum pro gittaro iubes.
H tu etiam regem appellari cum pro gitaro iubes.
L tu etiam regem appellari cum pro gitero iubes.
M Tu eciam regem appellari cum pro gitaro iubes.
N tu etiam regem appellari cum pro Ch Brogitaro iubes.
P tu etiam regem appellare cum pro gittaro iubes.
R tu etiam regem appellari cum prochitaro iubes.
S tu etiam regem appellari cum Chitharo Prochitaro iubes.
U tu etiam regem appellari cum Brogitharo iubes.
W u etiam regem appellari? cum pBro‿Ghitaro rege iubes.
Z tu etiam (aduersus Clodium id?) regem appellari pro Gittaro iubes.

Die Schreiber hielten offenbar die erste Silbe von Brogitaro für die Präposition pro. Lediglich im Exemplar U ist der Name fast richtig zu lesen, was sicher damit zusammenhängt, dass uns hier eine Abschrift vorliegt und von Pienzenau (Exemplar U) an dieser Stelle korrigierend eingegriffen hat. Die Exemplare N und S haben ebenfalls Korrekturen, und auch sie gelten als Abschriften, wobei nicht sicher ist, ob der Schreiber »Nicolaus« (Exemplar S) vielleicht schon die Korrektur mit abgeschrieben hat. Exemplar W, das möglicherweise eine Mitschrift ist, enthält auch eine Korrektur.33 Diese kann natürlich durchaus nachträglich erfolgt sein.

Dieser Fehler ist kein richtiger Hörfehler, obwohl die Aussprache (bp) sicher eine Rolle spielte; die Schreiber haben nichts falsch verstanden, sie konnten sich nur offenbar keinen Reim darauf machen. Ein bloßer Rechtschreibfehler ist es auch nicht. Es ist einfach ein Irrtum aufgrund mangelnder Vorkenntnisse.

Es gibt noch Fehler ganz anderer Art, bei denen aber unsicher ist, wie sie entstanden sind. Einer betrifft die Glosse zu B3r 28, 4 tibi, wo anscheinend einiges an Verwirrung darüber herrschte, wer denn damit angesprochen sei:

HMCaesari
Gscilicet Caesari
NDei: Caesari
CDeiotaro
RDeio:

Man kann sicher mehrere Szenarien konstruieren, die erklären könnten, wie es zu dieser Abweichung kam: Vielleicht passierte der Fehler beim Abschreiben, und die Schreiber sind aus Versehen in der Zeile verrutscht, oder die Glosse zu 28, 2–3 hi legati hat für Verwirrung gesorgt, weil dort auch die Form Deiotaro vorkommt (oratores a Deiotaro missi), vielleicht gab es eine unklare Situation in der Vorlesung, so dass die Vorlagen (eigene Mitschriften oder Fremdvorlagen) für die Exemplare C, N und R den falschen Namen enthielten, und nur der Schreiber des Exemplars N griff korrigierend ein, vielleicht waren aber auch die Schreiber für einen Moment geistesabwesend, Aubanus zu undeutlich usw. Was davon zutrifft oder ob es möglicherweise ganz anders war, wird man aber nie feststellen können.

6.6. Fehlerkorrekturen

An vielen Stellen bemerkten Schreiber sogar Fehler in den Glossen und korrigierten sie. Dabei verfuhren sie unterschiedlich: Manchmal sind falsche Wörter oder Buchstaben durchgestrichen, dann sind Korrekturen direkt hinter der Streichung (wenn der Schreiber den Fehler sofort bemerkte) oder meistens über der Streichung (wenn der Fehler dem Schreiber erst später auffiel, als der Rest der Glosse schon geschrieben war) vermerkt.

Es ist bei vielen aber auch üblich, falsche Buchstaben einfach mit den richtigen zu überschreiben oder – wenn möglich – sie zu verändern. Beim Überschreiben ist oft schwer zu erkennen, welcher Buchstabe in welchen verwandelt wurde.