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4. Aubanus’ Vorlesung über Pro Rege Deiotaro

4.1. Gregorius Coelius Aubanus

Gregor Koel1 wurde in Aub (Oberfranken) geboren, wann, ist nicht bekannt. Wahrscheinlich darf man – ausgehend vom Jahr der Immatrikulation in Leipzig – das Geburtsjahr wenige Jahre vor 1490 ansetzen. Anscheinend hatte es seit dem Mittelalter eine Lateinschule in Aub gegeben.2 Es ist wahrscheinlich, dass Gregor Koel dort seinen ersten Lateinunterricht erhielt. Im Sommersemester 1503 immatrikulierte er sich an der Universität Leipzig.3 Wir finden ihn auch in der Matrikel der Universität Heidelberg, wo er sich 1506 zusammen mit seinem Bruder Johannes einschrieb.4 Er wurde dort 1507 zum Baccalaureus promoviert.5 Zum Wintersemester 1509/10 kehrte er an die Universität Leipzig zurück und wurde im Februar in die Artistenfakultät aufgenommen.6 Die Promotion zum Magister erfolgte 1512.7

Im Sommersemester 1515 und im Wintersemester 1515/16 hielt Aubanus die Poetikvorlesung.8 Von 1515 bis 1517 müssen auch die Cicerovorlesungen stattgefunden haben.

Auf seine Tätigkeit an der Universität weisen lediglich noch zwei Urkunden hin, die er mitunterzeichnete: Die eine ist eine Bittschrift der Artistenfakultät an Herzog Georg, in der man diesen ersucht, Geld bereitzustellen, um Richard Croke, der ein Stellenangebot aus Böhmen erhalten hatte, an der Universität Leipzig zu halten.9 Die andere ist eine (ebenfalls an Herzog Georg gerichtete) Beschwerde der außerhalb der Fakultät stehenden Dozenten – Aubanus gehörte also nicht durchgängig der Fakultät an – über die Missstände an der Universität Leipzig, die auch Johannes Lange mitunterzeichnete: E. f. g. underthenige willige ausserhalben der facultet magistri Vitus Wuerley, Franciscus Richter, Laurencius Kopp, Paulus Thum, Gregorius Koel=aubanus, Iohannes Langius.10

Aubanus hegte, wie Philipp Novenianus in seiner Grabrede11 berichtet, den Wunsch, Priester zu werden. Im September 1516 erhielt er die Tonsur und sämtliche Weihen.12 Das Todesjahr kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit auf 1517 festlegen: Zum einen ist Aubanus ab dieser Zeit nicht mehr als Auftraggeber für Vorlesungsdrucke nachweisbar, zum anderen bemerkt Novenianus im Vorwort zur gedruckten Ausgabe seiner Grabrede für Aubanus, es sei etwa drei Jahre her, dass er sie gehalten habe: Siquidem ab hinc triennium fere est, ex quo ipse in laudem doctissimi praeceptoris mei Aubani hominis Franci hic Lipsiae declamationem habui.13 Da das Druckjahr mit 1520 angegeben ist, kommt 1517 als Todesjahr am ehesten in Frage.

Sterbeort ist vermutlich seine Heimatstadt Aub. Den Hinweis darauf verdanken wir Joachim Camerarius d. Ä. (1500–1574), der im Vorwort seines Kommentars zu Vergils Bucolica berichtet, Aubanus sei, als er krank wurde oder – je nachdem, wie man Camerarius verstehen möchte – sein Zustand sich verschlechterte, in seine Heimatstadt gereist: Cum enim hic conflictari cum haemorragiis coepisset […], discessit ille hinc in patriam urbem Franciam, unde et nomen sibi imposuerat.14 Woran er gestorben ist, wissen wir nicht. Camerarius spricht von einem Fieber15, aber diese Aussage ist natürlich wenig spezifisch.

Außer den Widmungsbriefen und -gedichten (und gleichsam auch den Glossen) in den Vorlesungsdrucken hat Aubanus nichts Schriftliches hinterlassen. Das ist sehr bedauerlich, wenn man bedenkt, in welchem Ansehen er als Lehrer bei vielen, z. T. berühmten Leuten stand. Novenianus nennt hier etwa noch Eobanus Hessus, Johannes Sturnus oder Johannes Aesticampianus,16 die außerdem seine Lehrer gewesen sein sollen. Novenianus17 und Camerarius18 sind nicht die einzigen, die ihn nach eigener Aussage zum Lehrer hatten und seine fachlichen Fähigkeiten preisen. Caspar Borner (1492–1547) und Ulrich Burchardi (1484–nach 1531) gehörten ebenfalls zu seinen Schülern. Stets wird er mit Männern wie Georg Helt und Veit Werler in einem Atemzug als jemand genannt, der besonders gut Latein konnte, so beispielsweise auch von Richard Croke (1489–1558): Vitus Verlerus. Gregorius Aubanus: & Georgius Heltus viri (meo iudicio) in latina lingua non vulgariter eruditi.19 Auch Stephan Roth rühmt in seinem Epitaphium Aubanus’ Begabung: Carmine Virgilius: Tullius ore fuit.20 Aubanus war auch mit Petrus Mosellanus befreundet, der ihm im sechsten Dialog seiner Paedologia ein Denkmal setzte. Die Ausgabe der Paedologia von 1520 enthält verschiedene gedruckte Randbemerkungen. Die Stelle, an der einer der Jungen in Dialog VI sagt, er komme aus Aub, ist kommentiert mit den Worten: Dedimus hoc memoriae optimi et doctissimi iuuenis Gregorii Aubani amici nostri qui Lipsiae magna laude docuit quem immatura morte sublatum dolemus.21 Mosellanus hat ihn demnach auch sehr geschätzt.

Diese vielen positiven Äußerungen – sogar von Fachkollegen – über Aubanus’ Fähigkeiten lassen vermuten, dass er im Deutschen Humanismus durchaus eine größere Rolle hätte spielen können, wäre er nicht so früh gestorben.

4.2. Zum Hintergrund der Rede

Der Galaterfürst Deiotarus, der in den Mithridatischen Kriegen auf Seiten der Römer gekämpft hatte, hatte sich im Bürgerkrieg zunächst Pompeius angeschlossen, wandte sich nach dessen Tod jedoch Cäsar (100–44 v. Chr.) zu. Als er gegen Ende des Jahres 45 v. Chr. von seinem Enkel Castor angeklagt wurde, er habe versucht, Cäsar zu ermorden, übernahm Cicero (106–43 v. Chr.) die Verteidigung des Königs. Die Verhandlung fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit im Hause Cäsars statt, der gleichzeitig auch als Richter fungierte. Deiotarus war nicht anwesend, er ließ sich durch eine Gesandtschaft vertreten. Zu einer Entscheidung des Prozesses ist es nie gekommen.22

4.3. Aubanus’ Kommentar

Wie Aubanus’ eigener Aussage im Widmungsbrief23 zu entnehmen ist, stellten seine Cicero-Vorlesungen eine Art Dreingabe zum normalen Vorlesungsprogramm dar, waren also etwas Besonderes.24 Dennoch, so heißt es dort auch, waren sie gleichzeitig als Fortsetzung der täglichen Studien gedacht. Man darf sicher davon ausgehen, dass sie ihre besondere Stellung durch die Auswahl der behandelten Werke und wahrscheinlich auch die Veranstaltungszeit erhielten, sich in Ziel und Durchführung aber nicht wesentlich von den ordentlichen Vorlesungen unterschieden.25 Dies legt auch der Befund in den Exemplaren der Vorlesungsdrucke nahe, die curriculare Texte enthalten (z. B. Rhetorica ad Herennium26).

Dass es sich beim Inhalt dieser Vorlesung um eine Erklärung, einen Kommentar zur Rede Pro Rege Deiotaro handelt, wird natürlich aus den Glossen ersichtlich, wir haben aber auch Aubanus’ Zeugnis davon, dass er genau das bieten wollte. Im Widmungsbrief des Vorlesungsdruckes In Pisonem 151627, der an Hermann Tulichius gerichtet ist, schreibt er: Quamquam vero illam priorem Oratoris perfecti vim in Cicerone perquam consumatam et absolutam fuisse plaerisque iam orationibus  a me enarratis: qualis pro Deiotaro, qualis pro Ligario, pro Marcello, pro Flacco et aliae fuerunt, ostendi …. Er hat also alle diese Reden in Vorlesungen erklärt.

In diesem Abschnitt soll die Frage im Vordergrund stehen, woraus sich Aubanus’ Kommentar der Rede zusammensetzt, also welche Informationen sie enthält und woher diese stammen.

4.3.1. Zum Inhalt des Kommentars

Die Glossen in den Vorlesungsnachschriften lassen sich ihrem Informationsgehalt nach kategorisieren, d. h. Aubanus’ Kommentierung des Textes fand auf verschiedenen Ebenen statt und berührte viele verschiedene Themen. Die Glossen in den Nachschriften enthalten Worterklärungen, Synonyme, Satzergänzungen, Sacherklärungen zu Rhetorik, Grammatik, Geschichte, römischem Recht, Mythologie, Geographie, Etymologie, etc., oft mit Zitaten verschiedener zur Erklärung herangezogener Autoren.

Viele Erklärungen sind auffallend elementar. Manche Satzergänzungen zum Beispiel scheinen uns sogar überflüssig: Über den Verbformen in der 1. Person Singular steht in allen Exemplaren oft der Hinweis ego Cicero. Ob derartige Anmerkungen tatsächlich nötig für das Textverständnis waren, können wir vielleicht nicht beurteilen. Es scheint uns heute sehr trivial, mag aber den Studenten damals durchaus geholfen haben.

Die Synonyme dagegen scheinen bezüglich ihres Informationsgehalts schon wesentlich nützlicher. Sie konnten offenbar eine von zwei verschiedenen Aufgaben erfüllen. Entweder fungierten sie als Worterklärungen, dann förderten sie, wie auch die Satzergänzungen, das Sprachverständnis. Oder die Nennung von Synonymen zu im Text vorkommenden Vokabeln diente der Erweiterung und Festigung des Wortschatzes, wie schon Leonhardt/Schindler erläutert haben:28 Die von Aubanus genannten Synonyme sind tatsächlich manchmal die erklärungsbedürftigeren oder zumindest selteneren Wörter, z. B. incolumitatem für A2r 5, 1 salutem.29

Worterklärungen können hin und wieder sogar länger ausfallen, wie die Marginalglosse zu A3r (3, 8 –) 4, 1 (in eum non) animaduertisti: Animaduerto cum praepositione in et accusatiuo significat punire, vt in milites animaduertere id est milites punire.30 Oder sie können den Bereich der Sacherklärungen berühren; so ist die Interlinearglosse zu A2r 22, 9 (in) eculeo: in tormento31 gleichsam eine Verknappung der längeren Erklärung am Rand: Eculeus genus est tormenti quo homines cruciari et torqueri possunt.32

An einigen Stellen sind sogar ganze Sätze erläutert. Den Satz Esto concedatur haec quoque acerbitatis et odii magnitudo, Adeone, vt omnia vitae salutisque communis atque etiam humanitatis iura violentur? (B1v 28, 8 – 30, 6) etwa umschrieb Aubanus, wohl um ihn leichter verständlich zu machen, mit etwas anderen Worten: q<uasi> d<icat> quamuis Castor optimo iure in auum Deiotarum acerbissimo odio grassari poterat, non tamen adeo vt omnia humanitatis iura violaret.

Diese Vokabel- und Verständnishilfen machen – auch in interlinear33 spärlicher annotierten Exemplaren – den größten Teil der Erklärungen aus. Die Glossen, die man den verschiedenen Bereichen der Sacherklärungen zuordnen kann, sind nicht immer eindeutig kategorisierbar, denn sie enthalten durchaus manchmal Informationen verschiedener Art. So wird die Stadt Ephesus etwa (A3v 7, 4) nicht nur geographisch eingeordnet, sondern auch kulturgeschichtlich und mythologisch.34

Dennoch lässt sich feststellen, dass die zweitgrößte Gruppe der Anmerkungen inhaltlich dem Bereich Rhetorik/Argumentation zugehört. Es handelt sich manchmal um sehr kurze Erklärungen, in denen nur rhetorische Stilmittel benannt werden, z. B. zu A2r 18, 6+9 videbam … audiebam35 Manchmal aber werden diese noch näher erläutert und gegebenenfalls mit einem Verweis auf eine rhetoriktheoretische Schrift versehen, wie in der Glosse zu A2r 27, 1 ff.36

Die übrigen Bereiche (Geschichte, Rechtskunde, Mythologie, etc.) berücksichtigte Aubanus freilich dort, wo es sich anbot: Wo ein Name auftauchte, erklärte er, wer der Genannte war und ggf. welche Rolle er in der römischen Geschichte spielte (z. B. zu A4r 26, 6–7 P. Africanum). Wo in der Rede auf römisches Recht Bezug genommen wurde, erklärte er dies (z. B. zu A2r 20, 2 ff. Nam cum more Maiorum …). Gelegenheiten, derartige Erläuterungen anzubringen, gibt es in dieser Rede, ja, vermutlich in jeder Rede erwartungsgemäß weniger als Gelegenheiten zur Kommentierung der Argumentation, daher sind Anmerkungen, welche eben diese übrigen Bereiche betreffen, natürlich seltener. Außerdem wird man jedem, der über eine Rede liest, mit Recht unterstellen dürfen, dass er dies unter anderem mit dem Ziel tut, sich mit Rhetorik zu beschäftigen. Dass der thematische Schwerpunkt der Glossen in diesem Bereich liegt, ist folglich nicht als ungewöhnlich anzusehen.

Aus den vielen Anmerkungen mit eher elementarem Charakter stechen einige hervor, die von höherem Niveau sind. Beispielsweise enthält die Erklärung zu A4r (15, 8 +) 16, 1 Iouis … hospitalis nicht nur für diese Textstelle zentrale Informationen: In den meisten Exemplaren finden wir zwar zwischen den Zeilen die Anmerkung: qui hospitibus praeest, die der grundlegenden Erklärung entspricht, die man erwarten würde, aber am Rand wird die Glosse fortgesetzt mit: ideo enim a Graecis xenios appellatur nam xinos hospes dicitur Virgilius in 1 Aenei: Iuppiter hospitibus nam te dare iura loquuntur.37 Weder die Tatsache, dass Iuppiter hospitalis im Griechischen Ζεὺς ξένιος (Zeus xénios) heißt, noch das Zitat aus Vergils Aeneis tragen hier maßgeblich zum Verständnis des Textes bei, aber beides wird für einen Lateinstudenten im Laufe seines Studiums unter Umständen interessant.

In die gleiche Kategorie fällt auch die Glosse zu A3v 7, 4 Ephesum.38 vrbs Asiae hätte als Information genügt, um die Stadt – sofern sie unbekannt war – geographisch einzuordnen. Aber Aubanus informierte seine Studenten außerdem noch über den berühmten Artemistempel und darüber, dass die Amazonen dem Mythos nach als Stadtgründer gelten. Der Hinweis auf Horaz carm. 1, 7 schließlich, wo Ephesus wirklich nur kurz genannt und ansonsten nicht näher behandelt wird, zeigt, dass der Kommentar über das Grundlegende hinausgeht.

Diese Zusätze haben den Charakter von Exkursen: Es ist sicher nützlich, solche Dinge zu wissen, aber sie sind zur Erklärung der Rede nicht zwingend notwendig. Hier ist also neben allem, was auf die Vermittlung von »Basiswissen« deutet, durchaus auch ein höherer Anspruch erkennbar, und zwar nicht nur, was die große Zahl der berücksichtigten Themenbereiche anbelangt,39 sondern auch im Hinblick auf die Ausprägung einzelner Glossen. Warum Aubanus bei der Kommentierung diesen Ansatz wählte, soll weiter unten in Abschnitt 4.5 diskutiert werden.

4.3.2. Kommentarvorlagen

Antonio Loschi

Eine ergiebige Quelle für die Kommentierung eines Textes sind freilich schon existierende Kommentare. Allerdings – und das mag mit ein Grund dafür sein, dass Aubanus sich berufen fühlte, eine solche Rede zu erklären – gab es zum damaligen Zeitpunkt fast keine solchen Kommentare zu Pro Rege Deiotaro.40 Der einzige, den Aubanus benutzt haben könnte, wurde von Antonio Loschi (1365-1441) verfasst.41 Dieser recht kurze Kommentar bietet eine rhetorische Analyse der Rede und eine Auseinandersetzung mit Ciceros Argumentation.

Loschi erläutert zu Beginn den Hintergrund des Geschehens, bestimmt Genus und Constitutio der Rede und gibt einen Überblick über ihre Teile, denen er sich dann einzeln ausführlicher widmet. Am Ende finden wir einen Abschnitt, der mit Colores überschrieben ist; hier werden die wichtigsten verwendeten Stilmittel benannt und in der Rede lokalisiert.

Es ist wahrscheinlich, dass Aubanus den Kommentar kannte. Zwischen seiner Vorlesung und Loschis Kommentar gibt es Übereinstimmungen,42 was natürlich durchaus in der Sache begründet sein mag: Die Redeteile sind, was sie sind, und das gleiche gilt für die Colores. Doch einige Male finden sich auffällige Berührungspunkte, etwa in dem zu Beginn der Vorlesung diktierten Quintilian-Zitat, oder vielmehr: der Erläuterung dieser bestimmten Stelle, die sich im Wortlaut an Loschis43 Version anzulehnen scheint:

Quint. inst. 4, 1, 62

Modus autem principii pro causa; …

Loschi, Sp. 2068, Z. 46 ff.

Nam, ut ait Quintilianus, modus in principiis adhibendus est, pro conditione causarum, …

Aubanus zu A2r 1, 1 ff.

Modum in principiis conficiendis pro causarum qualitatibus et condicionibus adhiberi oportere Quintilianus in tertio imprimis auctor est.

Ebenso scheint die Marginalglosse zu A4r 2, 3 ff. Cum (inquit) in castellum … eine Umformulierung dessen zu sein, was bei Loschi steht:

Loschi, Sp. 2071, Z. 25–31

Cum, inquit, in castellum, etc. Hic incipit confutatio, quae est usque ad eum locum, Reliqua pars accusationis, etc. ubi incipit diuisio eorum quae purganda restant in coniecturali constitutione, et defendens plurimum indiget confutatione, per quam suspiciones oppositas extenuet, ac dissoluat. Ideo hic Cicero bonam partem huiusce orationis in confutando consumpsit.

Aubanus zu A4r 2, 3 ff.

Incipit hoc loco confutationem, quae est (vt Cicero inquit) contrariorum locorum dissolutio. bonam autem huius orationis partem in ea consumit Cicero, defensor enim confutatione quam maxime indiget vt suspiciones contrariorum extenuet et dissoluat.

Auch der erste Teil der Marginalglosse zu A4v 17, 1 ff. Reliqua pars accusationis … und die Glosse zu A4v 19, 2 ff. De exercitu dicam … scheinen an Loschi anzuklingen:

Loschi, Sp. 2072, Z. 11 f.

Reliqua pars accusationis, etc Haec est diuisio eorum quae purganda extant, …

Aubanus zu A4v 17, 1 ff.

diuisionem hoc loco facit eorum quae post confutatam suspicionem purganda erant. …


Loschi, Sp. 2072, Z. 47 ff.

De exercitu dicam breuiter, etc Hic incipit confutatio partium reliquarum accusationis, in Diuisione superius positarum.

Aubanus A4v 19, 2 ff.

confutatio est partium diuisionis praepositae.

Bezüglich der Conclusio finden sich aber wieder sehr deutliche Übereinstimmungen. Loschi setzt den Beginn dieses Teils der Rede im letzten Paragraphen (43) an, was auch Aubanus tut.44 Allerdings diskutiert Loschi die Möglichkeit, dass die Conclusio schon früher beginnt, nämlich in § 39. Aubanus äußert sich an der entsprechenden Stelle45 ebenfalls zu dieser Möglichkeit,46 wobei er sich wieder auf Loschi zu beziehen scheint:

Loschi, Sp. 2073, Z. 38–41

Posset etiam dici, quod epilogus, siue conclusio orationis superius inciperet ab eo loco,  Laboro equidem regis Deiotari causa, etc.

Aubanus B3r 9, 9 ff.

sunt qui hoc loco epilogum siue orationis conclusionem ponant …

Es ist nicht sicher, wie man diese Übereinstimmungen deuten muss. Obschon es naheliegt, dass Aubanus’ Anmerkungen auf Loschi zurückgehen, so wäre es doch auch denkbar, dass beide die gleiche Vorlage hatten. Interessant ist aber – unabhängig davon, wer tatsächlich Aubanus’ Quelle war – der Umstand, dass er anscheinend keine Quelle nannte. Grundsätzlich wäre natürlich möglich, dass Aubanus das doch tat und sich lediglich keiner der Vorlesungsbesucher eine Notiz dazu machte, weil Loschis Kommentar allgemein bekannt war, was allerdings m. E. eher unwahrscheinlich ist. Möglich ist aber auch, dass er seine Quelle nicht nennen wollte. Obgleich sich hierfür keine Motivation erkennen lässt, ist das am wahrscheinlichsten, wenn man bedenkt, dass es, wie aus dem Stellenvergleich hervorgeht, Gelegenheiten genug gab, zumindest eine Bemerkung wie ita et Luscus47 anzufügen. Stattdessen drückt Aubanus nur an einer der oben angeführten Stellen aus, dass er nicht seine eigenen Gedanken darlegt, und selbst dort schweigt er sich über die Quelle aus; sunt, qui […] ponant: Unschärfer kann man es wohl nicht formulieren.

Sicher ist, dass zumindest Stephan Roth (Exemplar Z) Loschis Kommentar kannte, denn allein in seiner Nachschrift ist dieser an einer Stelle erwähnt. Interessanterweise eben nur nicht im Zusammenhang mit Erklärungen zur Rhetorik, sondern im Zusammenhang mit einem textkritischen Problem, das bei Loschi nicht als solches behandelt ist, nämlich ob es cum os videbam et verba audiebam48 oder cum os videbam cum verba audiebam heißen muss. In Loschis Kommentar ist die Textstelle im Abschnitt Colores nun zufällig so zitiert, wie sie nicht im Vorlesungsdruck steht, also mit cum statt et. Aubanus hielt die Version mit cum für besser. Roth notierte zu der Stelle: pleraque exemplaria habent cum et est nitidior lectio. Ita et Luscus interpretatur. Wenn Aubanus Loschi nicht selbst zitiert hat – man kann dies ebensowenig ausschließen wie beweisen – fühlte sich wenigstens Roth offenbar dazu berufen, die Ansicht seines Lehrers durch Loschis Autorität zu stützen.

Andere Kommentare

Hinweise darauf, dass Aubanus weitere Kommentare benutzt hätte, gibt es wenige, und sie sind überdies rätselhaft. Es wird an drei Stellen in Vorlesungsnachschriften auf Asconius Pedianus verwiesen: Im von Aubanus diktierten Argumentum zur Rede, dann bei A2v 1–4 und A4r 2, 3 ff. Was die beiden letztgenannten Stellen anbelangt, ist allerdings zum einen wahrscheinlich, dass nicht Aubanus den Namen nannte, weil er nur in Exemplaren auftaucht, die zur späteren Vorlesung49 gehören, und sonst nur in der Nachschrift Sebald Münsterers (Exemplar M).50 Zum anderen ist von Asconius Pedianus kein Kommentar zu der Rede Pro Rege Deiotaro überliefert. Es ist also klar, dass Asconius Pedianus in Verbindung mit dieser Rede schwerlich von Aubanus konsultiert worden sein kann, was wiederum auch seine Erwähnung im Argumentum schwierig macht: Hier wurde er nämlich gewiss von Aubanus genannt.

Während es also für das Argumentum eine Vorlage noch zu finden gilt, könnte man, obgleich natürlich nicht mit letzter Sicherheit zu klären ist, woher die vermeintlichen Zitate stammen, für die beiden anderen Stellen eine Verbindung zu Loschi vermuten. An einer davon, nämlich A4r 2, 3 ff. (s. o.) weisen die Schreiber der Exemplare M, O, Q und T auf Asconius Pedianus als Quelle hin, was natürlich ein Irrtum sein muss, aber dass die Glosse von Loschis Kommentar inspiriert war, dürfte oben deutlich geworden sein. Hier ist demnach entweder durch eine wie auch immer geartete Verwechslung der Name des falschen Autors in den Text geraten oder eben ein Autor gemeint, der fälschlicherweise mit Asconius Pedianus identifiziert wurde.51 An der anderen Stelle erwähnt nur der Schreiber des Exemplars Q einen Asconius. Allerdings ist einerseits die ganze Glosse als Sondergut zu betrachten, andererseits ist hier nicht klar, ob der Schreiber diesen Asconius, sollte er überhaupt Asconius Pedianus damit gemeint haben, ebenfalls mit Loschi verwechselt hat. Rein inhaltlich wäre es durchaus möglich, aber genauso könnte er sich auf einen anderen Autor beziehen:

Loschi, Sp. 2069, Z. 14–30

Itaque captat eleganter Cicero beneuolentiam a persona Caesaris, cum dicit rem insolitam, inauditam, regem scilicet esse reum capitis, in suo dumtaxat periculo, sic esse iniquam. […] Item cum dicit se in uultu oculisque eius acquiescere, quum solus ipse Caesar suppleat effectum concursus populi Romani et unus ipse pro uniuerso populo satis sit.

Exemplar Q, A2v 1–4

Asconius multa ait sibi Ciceronem beneuolentiam concitasse ex his verbis.

Was schriftlich überlieferte Kommentare anbelangt, sind die Möglichkeiten damit erschöpft. Wie oben schon erwähnt wurde, könnte Aubanus sich aber gerade deswegen zur Erläuterung der Rede entschlossen haben. Vielleicht hat er damit einfach nur dem Zeitgeist entsprochen, vielleicht hat er jedoch auch einen »Trend gesetzt«, denn ab der Mitte des 16. Jahrhunderts gibt es eine ganze Reihe von Kommentaren zu dieser und auch zu anderen z. T. vorher weniger beachteten Reden.52

Nachschlagewerke

Wir haben keine konkreten Hinweise darauf, welche Nachschlagewerke, also etwa Wörterbücher, Aubanus benutzt haben könnte. Dass er derartige Hilfsmittel benutzte, ist sehr wahrscheinlich, vor allem, so Leonhardt/Schindler, 46, »spielen […] die sog. Synonyma Ciceronis53 eine Rolle. Es handelt sich hierbei um eine spätantike, mit dem Namen Ciceros zu Unrecht verknüpfte Sammlung eines anonymen Autors, die als Teil der lateinischen Grammatik des Charisius (4. Jh. n. Chr.) erhalten ist und im Mittelalter und noch bis ins 16. Jahrhundert hinein als Sprachlehrbuch eine gewisse Verbreitung besaß.«

In der Tat kann man eine Verbindung vermuten, wenn Aubanus initio (A2r 1, 8) mit in principio erklärt und beide Ausdrücke, initio und principio, in den Synonyma Ciceronis als Synonyme aufgeführt werden. Ebenso finden wir defendere und tueri als solche zusammengestellt, und so ist auch A2r 5, 4 defendendam in den Nachschriften mit tuendam kommentiert.

Alle Synonyme, die in der Vorlesung vorkommen, finden sich in diesem Werk jedoch ganz und gar nicht. So tauchen etwa in keiner der Zusammenstellungen von synonymen Begriffen causa und actio zusammen auf; Aubanus hat jedoch causis (A2r 1, 4) mit actionibus erklärt. Das gleiche gilt für A2r 1, 5 grauioribus; hier ist in den meisten Exemplaren als Erklärung difficilioribus angegeben. Auch diese Begriffe werden in den Synonyma Ciceronis nicht als synonym geführt. Daher muss man vielleicht von der Verwendung weiterer, uns unter Umständen nicht bekannter Wörterbücher oder Synonymiken ausgehen. Sicher darf man Aubanus aber auch so viel Fachkenntnis zutrauen, dass er einige Synonyme selbst beigesteuert hat.

4.4. Literatur- und Quellenangaben in der Vorlesung

4.4.1. Quantitative Auswertung

In seinen Ausführungen zu dem einen oder anderen Problem, ob sprachlicher, archäologischer oder juristischer Natur (etc.), nennt Aubanus immer wieder lateinische Autoren als Quellen. Wenn in der Überschrift des folgenden Abschnittes von »zitierten« Autoren die Rede ist, so sind die von ihm angegebenen Stellen aus den betreffenden Werken allerdings nicht immer wörtlich zitiert. Meistens finden wir eine mehr oder weniger ausführliche Inhaltsangabe und eine Referenz auf die betreffende Textstelle.

Hier wäre vielleicht eine genaue statistische Erfassung aller Stellen interessant, jedoch gestaltet sich dies sehr schwierig, weil es einerseits nicht möglich ist, alle in den Nachschriften angegebenen Stellen eindeutig zu identifizieren, so dass manchmal mehrere Autoren oder Werke in Frage kommen; andererseits ist oft schwer zu beurteilen, ob eine Stellenangabe Teil der Vorlesung war oder es sich dabei um Sondergut eines oder sogar mehrerer Schreiber handelt. Noch komplizierter wird es, wenn man auch die Art der Überlieferung berücksichtigt. Man muss damit rechnen, dass in den erhaltenen Exemplaren möglicherweise nicht alle Stellen auch aufgeführt sind, die in der Vorlesung genannt wurden, weil sie unter Umständen den Schreibern gut bekannt waren oder so zahlreich, dass die Studenten nicht alle Stellen in ihre Mitschrift aufnahmen. Zusätzlich erschwert wird die Zählung dadurch, dass einige Nachschriften genaugenommen nicht Aubanus’ Vorlesung dokumentieren, sondern Lyranus’ Vorlesung (1518)54 oder die von 152055, so dass sich unweigerlich weitere Abweichungen ergeben.

Es lässt sich demnach nicht einmal die Anzahl aller Stellenangaben genau bestimmen, und so kann man über ihren Ursprung lediglich eine grobe Schätzung abgeben. Danach dürften etwa 75 % aller Stellen, die in den Nachschriften dokumentiert sind, ganz sicher von Aubanus in der Vorlesung genannt worden sein: Sie sind jeweils in fast allen oder zumindest vielen Exemplaren, die sich der ersten Vorlesung zuordnen lassen, vorhanden. Demgegenüber sind ca. 12 % der Stellen nur bei verschiedenen einzelnen Schreibern erwähnt, so dass es sich dabei wahrscheinlich um Sondergut dieser Schreiber handelt. Nur etwa 5 % sind ausschließlich der zweiten Vorlesung (Lyranus) zuzuordnen, wobei es ungefähr ebenso viele Textstellen gibt, auf die Aubanus in seiner Vorlesung verwies, nicht aber Lyranus.

Alle weiteren Stellenangaben lassen sich nur schwer einer Kategorie zuordnen. Bei manchen spricht einiges dafür, dass sie, obwohl nur in wenigen Exemplaren erhalten, vielleicht auch von Aubanus selbst genannt wurden. Andere sind oberflächlich betrachtet Lyranus’ Vorlesung zuzuordnen, also ausschließlich in den Exemplaren O, Q und T vorhanden, was allerdings nicht zwingend bedeutet, dass Aubanus sie nicht doch vielleicht angegeben haben könnte, nur dass eben niemand in seiner Vorlesung, dessen Nachschrift uns erhalten ist, sie aufschrieb: Das könnte z. B. dort der Fall sein, wo eine Glosse durchgängig in allen Exemplaren vorhanden ist und sich nur in den drei genannten Exemplaren ein Verweis auf irgendeinen Autor findet. Wieder andere der in den Nachschriften genannten Textstellen geben in jeder Hinsicht Rätsel auf, unter Umständen sogar bezüglich dessen, ob ein Text oder sein Autor überhaupt existieren. Die Schwierigkeiten lassen sich im Einzelfall nicht beseitigen.

4.4.2. Die zitierten Autoren und Werke

Viel interessanter ist natürlich, welche Autoren zitiert werden und wie oft (im Verhältnis zueinander). Da man, wie oben erwähnt, recht sicher bestimmen kann, welche Textstellen von Aubanus genannt wurden, lässt sich auch etwas darüber sagen, welche Autoren er für wichtig hielt und konsultierte. Natürlich sollen die Autoren der übrigen, nicht eindeutig Aubanus’ Vorlesung zuzuordnenden Stellenangaben ebenfalls Beachtung finden, und man wird sehen, ob sich hier signifikante Unterschiede ergeben.

Die bei weitem meisten Angaben beziehen sich auf antike Autoren und Werke. Dabei ist Cicero selbst am stärksten vertreten, und zwar vornehmlich mit den Reden und den rhetorischen Schriften, zu welchen – das muss berücksichtigt werden – damals auch die Herennius-Rhetorik noch gerechnet wurde. Auf sie wird am häufigsten verwiesen. Natürlich findet Quintilians Institutio oratoria ebenfalls Beachtung. Im rhetorisch-sprachlichen Bereich wird darüber hinaus aber auch Lorenzo Valla (De elegantiis linguae Latinae) öfter herangezogen.

Von den Historiographen, Geographen und anderen Gelehrten wird hauptsächlich Livius genannt, aber auch Plinius, (Ps.-)Caesar (vor allem bell. Alex.), Strabon und Plutarch werden mehrere Male erwähnt, Sueton und Appian etwas weniger.

Auf alle restlichen Autoren, die in den Nachschriften vorkommen, wird größtenteils nur ein- oder zweimal verwiesen. Durchaus eindrucksvoll ist jedoch die Anzahl verschiedener Autoren und Werke. Aubanus nennt Gellius, Varro, Caesar (civ.), den Codex Iustinianus, Solinus, Lukan, Justinus, Pomponius Mela, Horaz (carm.), Fulgentius, Ti. Claudius Donatus, Nonius Marcellus, Aelius Donatus, Festus, Priscian, Martial, Valerius Maximus und – als einzigen zeitgenössischen Autor außer Lorenzo Valla – Antonio Mancinelli56.

In den Exemplaren O, Q und T, die Lyranus’ Vorlesung zuzuordnen sind, finden sich insgesamt etwas weniger Stellenangaben, aber die Autoren, die aus der Liste dadurch ganz verschwinden, sind lediglich Solinus, Lukan, Horaz und Gellius, wobei Lukan ohnehin von Aubanus ganz unspezifisch im Zusammenhang mit Pharsalos erwähnt, also nicht einmal wirklich zitiert wird. Am stärksten vertreten sind aber auch hier Cicero, die Herennius-Rhetorik, Quintilian und Lorenzo Valla, der sogar insgesamt noch ein wenig öfter genannt wird als in den Exemplaren, die Aubanus’ ursprüngliche Vorlesung enthalten. Abgesehen von der Erwähnung des Asconius Pedianus57 taucht hier nur noch Filippo Beroaldo d. Ä. als »neuer« und zudem zeitgenössischer Autor auf; er wird dreimal zitiert.

Ebenso stellt man kaum einen Unterschied in der »Zusammensetzung« fest, wenn man die Autoren aller Stellen, die als Sondergut einzelner Schreiber gelten, betrachtet. Es handelt sich weitgehend um die gleichen Autoren, und sie werden auch etwa im gleichen Verhältnis berücksichtigt, was bei einer Gesamtzahl von 30 solcher Stellen als durchaus bemerkenswerte Beobachtung erscheint. Autoren, die in dieser Gruppe der Stellenangaben neu auftauchen, sind Antonio Loschi als einziger zeitgenössischer Autor, dann Vergil (Aen.), Laktanz (inst.), Florus, Servius, Terenz und Asconius Pedianus, wobei sich bei den beiden letztgenannten Autoren jeweils nichts findet58 und bei Servius nicht einmal klar ist, ob wirklich er gemeint war und warum.

Auch wenn hier Zitate bzw. Stellenangaben in verschiedenen Gruppen von Exemplaren getrennt betrachtet wurden, ist doch deutlich geworden, dass sich das Gesamtbild ziemlich einheitlich darstellt. Daraus darf man vielleicht schließen, dass Aubanus weitgehend auf die »üblichen« Autoren verwies. Wie genau diese Auswahl an zitierten Autoren allerdings die von Aubanus zur Kommentierung der Rede verwendete Literatur repräsentiert, ist eine andere Frage, die vermutlich nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann. Dabei bleibt etwa rätselhaft, warum, wo man doch deutlich Verbindungen zwischen einigen von Aubanus’ Anmerkungen und Antonio Loschis Kommentar sieht, dieser gar nicht erwähnt wird, außer in einem einzigen der immerhin 18 Exemplare, und dort in einem untypischen Kontext.59 Selbst wenn es sich bei seiner Vorlage um eine ihm und Loschi gemeinsame Quelle handeln sollte, fällt auf, dass sie nicht genannt wird. Welchen Grund könnte Aubanus gehabt haben, über diesen Autor zu schweigen bzw. sich so vage auszudrücken wie in der Marginalglosse zu A2v 14, 360 oder auch in der Marginalglosse zu B3r 9, 9 ff.61? Wer könnte der »Asconius Pedianus« sein, der im von Aubanus diktierten Argumentum erwähnt ist?

Über die zweifelsfrei identifizierbaren Autoren und Werke aber lässt sich natürlich etwas aussagen. Wie bereits angedeutet, finden wir einige bevorzugt zitiert, und demnach hat Aubanus sie zur Erklärung der Vorlesung wohl auch bevorzugt herangezogen. Das ist im Grunde genommen nicht überraschend. Immerhin wird man in einer Vorlesung über eine Rede Ciceros um Rhetorik nicht herumkommen, und für Erklärungen immer wieder auf die verfügbaren rhetorischen Schriften zurückgreifen. Es liegt ebenfalls auf der Hand, sich mit Hilfe der Geschichtsschreiber über relevante historische Ereignisse und diverse Personen zu informieren. Auch Werke des Redners, gleich welcher Art, müssen zwangsläufig von Interesse sein, ob sie nun fachlich interessant sind (d. h. sich in irgendeiner Form auf Rhetorik beziehen) oder biographisch relevant. Es war demnach zu erwarten, Hinweise auf Cicero, Quintilian, die Herennius-Rhetorik, Livius, Plutarch, etc. in den Vorlesungsnachschriften zu finden. Die am häufigsten zitierten Autoren sind mit folgenden Werken vertreten:

  1. Cicero
    • Rhetorische Schriften
      • Brutus
      • De oratore
      • De inventione
      • Partitiones oratoriae
    • Reden
      • Pro Balbo
      • Pro Caelio
      • In Catilinam
      • Pro Cluentio
      • Pro domo sua
      • De haruspicum responsis
      • Pro Ligario
      • Pro lege Manilia
      • Pro Marcello
      • Pro Milone
      • Pro Murena
      • Oratio post reditum in senatu
      • Orationes Philippicae in M. Antonium
      • In Verrem
    • Philosophische Schriften
      • De divinatione
      • De officiis
      • De re publica
      • Tusculanae disputationes
    • Briefe
      • Epistulae ad Atticum
      • Epistulae ad familiares
  2. (Pseudo-Cicero)
    • Rhetorica ad Herennium
  3. Quintilian
    • Declamationes minores
    • Institutio oratoria
  4. Lorenzo Valla
    • Contra Raudensem
    • De elegantiis linguae Latinae
  5. Livius
    • Ab urbe condita
  6. Plutarch
    • Vitae parallelae
  7. Plinius d. Ä.
    • Naturalis historia
  8. Strabon
  9. Pseudo-Caesar
    • Bellum Africum
    • Bellum Alexandrinum
  10. Sueton
    • Divus Iulius
    • Divus Tiberius
  11. Appian
    • Bella civilia
    • Mithridatius
    • Syriaca

Nur bis zu dreimal erwähnt sind:62

  1. Caesar
    • De bello civili
  2. Tiberius Claudius Donatus
  3. Corpus Iuris Civilis
  4. Cornelius Nepos
    • Atticus
  5. Diomedes Grammaticus
  6. Aelius Donatus
    • commentum in Terenti comoedias
  7. Festus
  8. Florus
    • Epitoma de Tito Livio
  9. Fulgentius
    • Expositio sermonum antiquorum
  10. Gellius
  11. Horaz
    • Oden
  12. Junianus Justinus
  13. Laktanz
    • Divinae institutiones
  14. Lukan
  15. Martial, Epigramme
  16. Pomponius Mela
  17. Nonius Marcellus
  18. Priscian
  19. Ptolemaeus
  20. Solinus
  21. Valerius Maximus
  22. Varro
    • De lingua Latina
  23. Antonio Mancinelli
    • Summae declinationis lexicon
  24. *Iodocus Badius Ascensius
    • Kommentierte Ausgabe von Livius, ab urbe condita
  25. *Filippo Beroaldo
    • Commentationes in Suetonium Tranquillum
  26. (Antonio Loschi)
    • In M. T. Ciceronis orationem pro rege Deiotaro Antonii Luschi commentatio

Unter diesen seltener zitierten Autoren und Werken befinden sich einige, die man nicht unbedingt in den Vorlesungsnachschriften zu dieser Rede zu finden erwartet hätte, z. B. Horaz, Lukan oder Martial, von denen die ersten beiden auch eher am Rande erwähnt werden. Aber sie werden eben erwähnt. Es scheint, als hätte Aubanus einerseits zwar Wert darauf gelegt, den im Zusammenhang mit der Rede (d. h. ebenso mit Rhetorik) relevanten Schriften auch erkennbar die größte Bedeutung beizumessen, andererseits aber auch – wo es sich anbot – möglichst viele verschiedene andere Autoren zu zitieren. So entsteht ein Eindruck von Gelehrsamkeit. Im folgenden wird sich zeigen, wie diese Beobachtung im Zusammenhang mit den bisherigen Beobachtungen63 zu deuten ist.

4.5. Ziel der Vorlesung – Zweck des Kommentars

In Abschnitt 1.1 wurde schon gesagt, dass die meisten Reden, über die Aubanus las, keine curricularen Texte waren. Was genau nun Aubanus dazu bewog, sie für eine Vorlesung auszuwählen, wissen wir nicht. Leonhardt äußert die Ansicht, Aubanus habe sie, da sie historisch und als rhetorische Vorbilder weniger relevant seien als andere Reden, wohl deshalb ausgesucht, weil Cicero – dabei bezieht er sich vornehmlich auf die Reden Pro Flacco und In Pisonem – sich hier gehobener Umgangssprache bediene.64

Es mögen bei den einzelnen Reden zusätzlich noch andere Kritierien eine Rolle gespielt haben. So weist Pro rege Deiotaro etwa ein recht langes Exordium auf, das bezüglich der Captatio benevolentiae geradezu ein Musterbeispiel für das darstellt, was in Rhet. Her. 1, 8 dazu gesagt wird.65 Dafür ist die Narratio der Rede untypisch: dort findet nämlich eigentlich keine Schilderung des Tathergangs statt. Derartige Besonderheiten machten Pro rege Deiotaro in Aubanus’ Augen vielleicht gerade interessant für den Rhetorik-Unterricht.

Was den Inhalt der Vorlesung anbelangt, hat sowohl die Betrachtung des Inhalts der Glossen als auch die Auswertung der Stellen aller zitierten Autoren gezeigt, welch unterschiedliche Intentionen Aubanus’ Kommentar offensichtlich vereint. Zum einen bemühte er sich, solides Grundwissen zu vermitteln; daher lag – das wurde schon mehrfach angesprochen – der thematische Schwerpunkt in seiner Vorlesung auf dem sprachlich-rhetorischen Feld, wie überhaupt die sprachliche Ausbildung im Lateinischen auch im universitären Unterricht damals im Vordergrund stand.66

Zum anderen legte Aubanus aber auch Wert darauf, den Horizont seiner Studenten zu erweitern. In Abschnitt 4.3.1 wurde anhand der Glossen zu Ephesus (A3v 7, 4) und zu Iuppiter hospitalis (A4r 15, 8 + 16, 1) bereits dargelegt, dass seine Erläuterungen oft über das Notwendige hinausgingen. Hinzu kommt die Fülle und Vielfalt an Autoren, die er zitierte: Zu Ephesus an der genannten Stelle gleich fünf! Mit Plinius und Strabon hätte man wohl ohnehin rechnen können. Aber Aubanus weitete die Anmerkung noch aus, führte außerdem Justinus und Mela an und Horaz, dessen Nennung hier tatsächlich etwas überrascht, kommt Ephesus in carm. 1, 7 doch nur ganz am Rande vor. Sicher versuchte er auf diese Weise, seine Studenten mit möglichst vielen (antiken) Autoren bekannt zu machen, oder ihnen überhaupt einen Überblick über die antike Literatur zu geben, Verbindungen – wie locker auch immer – aufzuzeigen oder herzustellen und ihnen so bei der Orientierung zu helfen. Ähnliche Beweggründe mag er speziell in Bezug auf Cicero gehabt haben: Dieser ist in den Nachschriften nicht nur als Autorität im Bereich der Rhetorik, sondern auch mit Parallelstellen aus verschiedenen anderen Reden vertreten. Aubanus wollte offenbar nicht nur erreichen, dass seine Studenten diese eine Rede lesen und verstehen konnten; sie sollten Cicero als Redner insgesamt besser kennenlernen.

Eine derartige Vereinigung unterschiedlicher Ebenen der Kommentierung, sowohl hinsichtlich der Themenbereiche als auch des Lernfortschritts der Studenten, stellt Grafton67 schon für antike Kommentare fest und bemerkt außerdem, dass mit Beginn des Humanismus diese Form des Kommentars in Bildungseinrichtungen wieder populär wurde68, so dass sich auch Aubanus’ Kommentar gewissermaßen in dieser Tradition sehen lässt. Man kann sich aber auch konkret gute Gründe dafür vorstellen, warum er so unterschiedliche Zielsetzungen mit- einander vereinte. Es gab zu Pro Rege Deiotaro, wie oben69 bereits festgestellt wurde, keinen Kommentar außer Loschis. Wenn Aubanus dies zum Anlass nahm, selbst einen Kommentar zu schaffen, dann beabsichtige er vermutlich, ihn so zu gestalten, dass möglichst viele Interessierte davon profitieren konnten. Ob er erwartete, dass dieser Kommentar Verbreitung finden würde, lässt sich nicht sagen. Da die Vorlesungsdrucke aber speziell für die schriftliche Fixierung des Kommentars geschaffen waren, musste er durchaus mit einer späteren Rezeption rechnen. Vielleicht war die Vorlesung eine Art Probelauf, und Aubanus wollte den Kommentar zu einem späteren Zeitpunkt drucken lassen. Dieses Vorgehen entspräche etwa der heutiger Wissenschaftler, die in Vorträgen von ihren Forschungen berichten, gegebenenfalls aus Diskussionen Anregungen mitnehmen und schließlich ihre Forschungsergebnisse veröffentlichen.

Davon unabhängig spielte gewiss auch eine Rolle, dass die Studenten, ganz ähnlich wie heute, keine homogene Lerngruppe bildeten. Wir können anhand der Leipziger Matrikel erkennen, in welcher Phase ihrer Ausbildung die Vorlesungsbesucher waren, und es sind alle vertreten: von Sebald Münsterer, der noch nicht Baccalaureus war, über Hermann Wagenfurer, der im selben Wintersemester, in dem die Vorlesung stattfand, noch zum Baccalaureus promoviert wurde, bis hin zu Stephan Roth, der – schon längst Baccalaureus – im folgenden Wintersemester bereits zum Magister promoviert wurde. Vor diesem Hintergrund wird Aubanus’ Vorgehensweise durchaus verständlich. Wenn er viele Leute mit der Vorlesung erreichen wollte, musste er sie für ein breites Publikum konzipieren.